Welche Zutaten braucht man für ein autoritäres Regime? Einen übergriffigen Staat, Gummiparagrafen, lechzende Medien und natürlich – unverzichtbar – zur Denunziation abgerichtete Bürger.

In der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt Aken fügte sich soeben alles bestens zusammen. Drei Jungs im Alter von 15 und 16 Jahren wurden beobachtet, wie sie Seiten aus einem Buch herausrissen und versuchten, es im Papierkorb zu verbrennen. Eilfertig herbeigeeilte Bürger stocherten in der Asche und identifizierten das Druckwerk als das «Tagebuch der Anne Frank».

Damit war es kein Dummer-Junge-Streich mehr, sondern ein Fall für den Staatsschutz, der Ermittlungen wegen Volksverhetzung aufgenommen hat. Denn das Tagebuch der deutschen Jüdin, die mit sechzehn im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde, gehört zum Kodex des Gedenkens an die Verbrechen des Holocaust. Daran vergreift man sich nicht.

Aber hier liegt der Schlüssel zum Verständnis, warum die Teens aus Aken und immer mehr ihrer Altersgenossen in Deutschland mit «rechten» Aktionen provozieren.

Es ist mehr als der natürliche Widerspruch gegen die Eltern, mehr als die Lust an der Provokation. Sie rebellieren vielmehr gegen eine Holocaust-Gedenkkultur, die zum hohlen Ritual verkommen ist. Sie sehen, wie alte Leute regelmässig zusammenkommen und einander mit betroffenen Gesichtern «Nie wieder» versichern. Und sie fragen sich, was sie das alles angeht, die 60 Jahre nach dem Krieg geboren wurden.

Es war ein grosser Fehler der politischen Klasse in Deutschland, diese Generationen nicht mitgenommen zu haben – etwa, indem man den Fokus weiter zog und die Abscheu über die Verbrechen des Nationalsozialismus ausdehnte auf die Abscheu darüber, was Menschen Menschen antun können. Noch immer, jeden Tag, überall.

Das ist aktuelles Anschauungsmaterial, das junge Menschen betroffen macht, und nicht schwarz-weisse Wochenschauen, die ihre Urgrossväter zeigen, die sie nie kennengelernt haben.