Sermîn Faki, Politchefin des Blicks, holte letzten Sommer den ganz grossen Knüppel aus dem Sack: «Köppel verhöhnt Vergewaltigungsopfer», empörte sie sich. «Dass er sexuelle Gewalt als Romantik verbrämt, demaskiert ihn als aus der Zeit gefallenen Mann.»
Roger Köppel, Verleger und Chefredaktor der Weltwoche, hatte geschrieben: «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau.» Dies zeige, schäumte Sermîn Faki, «das Gesellschaftsbild eines sogenannten alten weissen Mannes, der sich nimmt, was er will». Natürlich werde er Ausreden haben. «Das ändert wenig daran, dass es schlicht inakzeptabel ist, sexuelle Gewalt an Frauen als Romantik zu verbrämen. Frauen als Wesen darzustellen, die erobert, überzeugt, zu ihrem ‹Glück› gezwungen werden wollen.» Und Politchefin Faki rief zum Schluss die «Wählerinnen» ganz direkt auf, Roger Köppel aus dem Parlament abzuwählen.
Diese moralische Linienrichterin ist Teil eines der erstaunlichsten Wende-Phänomene der neueren Schweizer Pressegeschichte. Denn der Blick hatte über Jahrzehnte eine durchaus entspannte Sicht auf das Geschlechts- und Triebleben unter Erwachsenen. Bei den legendären Tipps von Sexberaterinnen wie Martha oder Eliane ging’s hart zur Sache. Erst Ende 2016 verzichtete der Blick auf das nicht oder fast nicht bekleidete «Blick-Girl». Noch später wurde die «Erotik»-Seite mit Angeboten für Prostitution und Telefonsex eingestellt.
Dennoch erklärte das Blatt seinen Lesern die Welt und die Schweiz schon damals unverfroren auf dem Hochsitz einer überlegenen Moral. Der Sonntagsblick betitelte seine Anklage von Magazin-Chefredaktor Finn Canonica vom Konkurrenzverlag an der Werdstrasse so: «Wegschauen aus Prinzip?» Und fragte alsogleich besorgt: «Hat der Zürcher Tamedia-Verlag ein Problem mit der Unternehmenskultur?»
Jetzt hat dummerweise auch Ringier ein «Problem mit der Unternehmenskultur». Für fette Schlagzeilen sorgten nämlich letzte Woche gleich zwei profilierte publizistische Kaderleute von Ringier. Sie haben sich – bei Zitierung der Worte von Blick-Politchefin Sermîn Faki – mutmasslich wie ein Mann aufgeführt, «der sich nimmt, was er will». Der Ringier-Verlag musste durchgreifen und veranstaltete eine eigentliche Frühlingsputzete.
Laut NZZ soll Christian Dorer, Chef der Blick-Gruppe, den männlichen Teil der Schöpfung bevorzugt und belästigt haben. Konkret werde ihm vorgeworfen, «er habe junge, gutaussehende Männer gefördert und sich einigen von ihnen in für einen Vorgesetzten nicht angebrachter Weise angenähert». Jetzt wird Dorer von Ringier eine halbjährige Auszeit verordnet; über eine Rückkehr oder ein definitives Aus will man an der Dufourstrasse später entscheiden.
Werner De Schepper, früher Blick-Chefredaktor und eben noch Co-Chef von Interview by Ringier, musste per sofort gehen. Schon Ende 2017 hatte der Tages-Anzeiger berichtet, De Schepper habe unter anderem bei Ringier als Führungsperson Mitarbeiterinnen belästigt. Zwölf Frauen erhoben in dem Artikel anonym Vorwürfe zu verbalen und körperlichen Übergriffen. Strafrechtliche Konsequenzen hatten diese Anschuldigungen nicht. Jetzt werden ihm offenbar Verfehlungen nach einem Geschäftsessen vom 24. Februar in Paris vorgeworfen.
Inside Paradeplatz schreibt, De Schepper habe eine Frau um die Taille gefasst und ihr ein Müntschi gegeben: «Mehr war da nicht.» Die RTL Group S. A. in Luxemburg sieht dies bezüglich einer ihrer Mitarbeiterinnen ganz anders.
Ringier hat jetzt gegen zwei seiner langjährigen Frontmänner Massnahmen ergriffen – hart und unerbittlich. Für beide gilt die Unschuldsvermutung. Wenn die journalistischen Mitarbeiter dieses Medienunternehmens etwas daraus lernen sollten, dann vielleicht dies: Wer die Moral hat, hat auch die Qual.