Weltwoche: Lieber Herr Nuhr, was ist für Sie komisch?

Dieter Nuhr: Keine Ahnung. Dazu gibt es alle möglichen Theorien. Ich kann nicht sagen, was komisch ist, und ehrlich gesagt, will ich das auch gar nicht. Ich habe auch keine Bücher gelesen, die erklären, wie man Pointen schreibt. Und wenn ich Leute treffe, die so was gelesen haben, dann sind die meistens sehr unlustig.

Weltwoche: Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Humor, Komik und Witz?

Nuhr: Was diese Frage angeht, bin ich vollkommen unideologisch. Über einen richtig guten Witz, der sich um die Geschlechtsteile dreht, muss auch ich lachen, wenn ich ehrlich bin. Manche Leute wollen, dass es nicht unter die Gürtellinie geht, und meinen damit, dass ein Witz Niveau haben soll. Ich glaube allerdings nicht, dass Niveau eine Bedingung dafür ist, dass die Leute lachen. Ich verbinde das, was ich komisch finde, mit Gedanken über die Gesellschaft. Dadurch erscheint der Witz dann höherwertiger als einer über den Hodensack.

Weltwoche: Bleiben wir trotzdem beim Hodensack. Da denkt man sofort an Freud und seine Definition von Humor. Deckt der Humor unbewusste Konflikte oder Triebe auf?

Nuhr: Freud hat viel behauptet und nichts bewiesen. Wenn ich lache, fühle ich mich eher vom Absurden der Welt angetrieben. Wir versuchen permanent, alles zu rationalisieren, und glauben am Ende, dass wir alles verstanden haben. Das ist natürlich absurd, weil das nie der Fall ist. Probleme sind unendlich komplex. Wenn einem klar wird, dass man nichts verstanden hat, dann muss man oft lachen. In meinem Humor geht es oft um die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, um Verstehen und Nichtverstehen und vor allem darum, scheinbare Gewissheiten zu hinterfragen. Mein Humor ist dekonstruktiv. Wenn Ideen zusammenbrechen, ist das eine Art geistiger Slapstick.

Weltwoche: Gelten dann die Deutschen deshalb als humorlos, weil sie so verliebt in Ideen und Theorien sind?

Nuhr: Ich glaube, die Deutschen gelten als humorlos, weil sie die Welt überfallen haben. Das macht auf andere einen humorlosen Eindruck. Momentan gilt der Russe nicht gerade als Spasskanone. Solche Bilder halten sich dann relativ lange im kollektiven Gedächtnis. Ich glaube jedoch nicht, dass die Deutschen humorloser sind als andere Völker.

Weltwoche: Der humorlose Deutsche ist nur ein Klischee?

Nuhr: Andere Völker haben andere Zeichensysteme. Sie kommunizieren anders. Und unser deutsches Zeichensystem wirkt im Ausland ernster als beispielsweise das von Amerikanern. Umgekehrt wirken Amerikaner auf uns mitunter erst einmal oberflächlich. Hier prallen ganz unterschiedliche Codes aufeinander. Aber das gibt es auch innerhalb Deutschlands. Wenn ich als Rheinländer in Schwaben bin, entstehen mitunter ebenfalls kleine Missverständnisse. Auch das liegt daran, dass in Schwaben andere Zeichensysteme verwendet werden.

Weltwoche: Gilt das auch für die Schweiz oder Österreich? Und müssen Sie Ihr Programm dort inhaltlich nicht ohnehin anpassen?

Nuhr: In der Schweiz und in Österreich ist man über deutsche Innenpolitik sehr viel besser informiert als umgekehrt. Da muss ich das Programm nicht abändern. Österreich funktioniert bei mir zudem gut, weil ich einen recht wienerischen Humor habe. Ich werde gerne auch mal zynisch oder drastisch und rede auch mal gern über den Tod. Auch die Schweiz ist für mich ein gutes Pflaster. Die Schweizer haben ein Kleinkunstverständnis, das Richtung Akrobatik geht. Das kann ich allerdings überhaupt nicht bieten. Ich plaudere nur. Ich gehe auf die Bühne und unterhalte mich mit dem Publikum. In der Schweiz führt das oft zu grosser Überraschung. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass so ein wortlastiges Programm als ganz eigene Kunstform dann überaus gut angenommen wird.

Weltwoche: Sie reisen viel. Haben Sie zwischen den Kulturen Humorunterschiede festgestellt?

Nuhr: Nein, ich glaube, Humor ist eine anthropologische Konstante, die weltweit ähnlich funktioniert, in Indien ebenso wie in Afrika. Man muss allerdings manchmal erst durchdringen. Im November war ich etwa in Senegal. Da wird einem Weissen mitunter schon eine gewisse Grundaggression entgegengebracht. Wenn man die aber erst einmal überwunden hat, dann geht man aufeinander zu und lacht miteinander. Es ist eine Frage des ersten Überwindens von Differenzen sowie des Bemühens, die Zeichensysteme der jeweils anderen zu verstehen. Ich bin davon überzeugt, dass viele Konflikte auf unserer Welt gar keine echten Konflikte sind, sondern Zeichenprobleme, Probleme der Verständigung.

Weltwoche: Was hat für Sie persönlich das Reisen für eine Bedeutung?

Nuhr: Ich bin Gewaltreisender. Ich versuche, so viel zu reisen, wie es irgendwie geht. Zum einen, weil ich dabei Material für meine künstlerische Arbeit erstelle, also Fotos, Zeichnungen und Bilder. Aber auch, weil Reisen mir Distanz zur eigenen Lebenswelt schafft und mir so das Schreiben meiner Texte ermöglicht. Wenn man gerade aus Indien kommt, wo immer noch Leprakranke auf der Strasse leben, denen Körperteile abfaulen, dann relativiert sich vieles. Dann begreift man, dass etwa ein Begriff wie Armut sehr unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Wenn man einem Inder erzählt, dass es in Deutschland Menschen gibt, die arm sind, dann versteht er das zunächst nicht.

Weltwoche: Einige Ihrer Witze wurden teilweise polemisch und aggressiv kritisiert. Fehlt es den Kritikern Ihrer Shows und Ihres Humors einfach an dieser Distanz?

Nuhr: Ich weiss nicht, ob das was mit Distanz zu tun hat. Das sind spezielle Milieus. Etwa das Milieu der Woken oder das islamistische Milieu oder das nationalistische Milieu. Diese Milieus vereint, dass sie Blasen ausserhalb der Mitte der Gesellschaft darstellen. In diesen Blasen bildet sich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl gegen den Rest der Welt. Insbesondere beim woken Milieu kommen noch knallharte ökonomische Interessen hinzu. In Deutschland gibt es über 200 Genderprofessuren, die wiederum mit Assistentenstellen und Hiwi-Posten ausgestattet sind. Da geht es auch darum, die wirtschaftliche Existenz für die eigene Szene zu sichern. Und es geht um Macht, darum, Hochschulen in die eigene Hand zu bringen, Institute, Gremien, Verbände. Wenn dann ein Biologieprofessor anhand des Verhaltens von Bonobo-Äffchen nachweist, dass es angeborene Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, dann wird damit nicht nur die eigene lebensbegründende Ideologie in Frage gestellt, sondern auch die Grundlage der eigenen ökonomischen Existenz. Dann schlägt man um sich.

Weltwoche: Entstehen in einer pluralistischen Gesellschaft nicht immer mehr solcher Submilieus, und steigt damit nicht auch das Aggressionsniveau?

Nuhr: Auf jeden Fall driftet dann die Gesellschaft auseinander. Aber das ist erst einmal auch gar nicht schlimm. Von mir aus kann jeder glauben, was er will, meinetwegen an ein fünfköpfiges Ungeheuer unter der Erdkruste, solange er mich nur in Ruhe lässt. Die Spaltung der Gesellschaft darf aber nicht dazu führen, dass wir nicht mehr zusammenleben können. Und dafür müssen einige zivilisatorische Grundwerte eingehalten werden. Das heisst: Wenn ich einer Religion anhänge oder einer politischen Ideologie, dann muss ich ertragen lernen, dass andere Menschen das für irrelevant halten.

«Ich glaube nicht, dass Niveau eine Bedingung dafür ist, dass die Leute lachen.»

Weltwoche: Genau diese Toleranz scheint aber abzunehmen, oder?

Nuhr: Genau. Um etwas gegen diese zunehmende Intoleranz zu tun, müsste jedoch das Problem erst einmal erkannt werden, und da geht es schon los. Die Diagnose, dass viele Probleme in unserer Gesellschaft mit wachsender Intoleranz zu tun haben, müsste akzeptiert werden. Es kann nicht sein, dass etwa bestimmte religiöse oder ideologische Gemeinschaften für sich beanspruchen, dass man keine Witze über sie machen darf.

Weltwoche: Zumindest politische Ideologen wie etwa Klimaaktivisten würden jetzt sagen, dass es einfach einen objektiven Notstand gibt, gegen den man etwas tun muss, zur Not auch mit einer gewissen Intoleranz.

Nuhr: Wir werden massive Probleme durch den Klimawandel bekommen. Das steht ausser Frage, und das habe ich auch noch nie bezweifelt. Aber als ich mal einen Witz über Greta Thunberg gemacht hatte, kam es zu Reaktionen, die nichts mit Wissenschaft zu tun hatten, sondern religiöser Natur waren. Ich hatte durch einen Witz sozusagen den «Erlöser» in Frage gestellt. Das ging gar nicht. Eine solche Reaktion ist fundamentalistisch und hat mit Wissenschaft überhaupt nichts zu tun. Und das ist ein Problem.

Weltwoche: Fehlt auch hier wieder vielen Aktivisten die nötige Distanz?

Nuhr: Offensichtlich. Ich war gerade in Zentralindien. Da ist es im Winter richtig kalt. Dort machen die Menschen morgens erst einmal ein offenes Feuer. In Nepal sieht man Kinder, die Autoreifen verbrennen. Und das ist nicht die Ausnahme. Das ist die Regel. Wenn wir uns hier in Europa Gedanken über den Klimawandel machen, dann geht es also um Effizienz. Hierzulande glauben manche, dass sie etwas gegen den Klimawandel tun, wenn sie mit dem Lastenrad zum Supermarkt fahren. Das ist total lächerlich. In China werden bis 2035 216 neue Flughäfen gebaut. Wenn man jedoch darauf hinweist und die Effizienz unserer Massnahmen hinterfragt, dann gilt das als Häresie. Das ist irrational und trägt, wie gesagt, religiöse Züge.

Weltwoche: Wann hatten Sie denn Ihren ersten richtigen Shitstorm?

Nuhr: Ende der neunziger Jahre. Ich war einer der Ersten, die eine funktionierende Homepage hatten, und war in einer Fernsehshow eingeladen, in der ich ein T-Shirt mit der Homepage-Adresse trug. An diesem Tag war meine Seite eine der zehn am meisten besuchten Homepages Europas. Und interessanterweise kamen damals schon die gleichen Trolle um die Ecke wie heute und rotzten einfach in das Gästebuch. Ich konnte es nicht fassen, das war neu für mich. Damals waren das im Vergleich zu heute natürlich weniger Leute. Es hat sich dann aber fortgesetzt und ist immer grösser geworden. Den ersten wirklich grossen Shitstorm gab es dann anlässlich eines Programms, das sich mit Religionsfragen beschäftigte. Ich machte mich darin über Menschen lustig, die zu wissen glaubten, was Gott will. Das Programm wurde als islamophob bezeichnet, weil mich ein Hassprediger aus Osnabrück wegen Volksverhetzung angezeigt hatte. Dieses Stichwort reichte aus, um bei den Zeitungslesern die Assoziation «Nazi» freizusetzen. Nach diesem Muster funktioniert das eigentlich bis heute. Man wird mit Begriffen belegt, die einen als politischen Extremisten erscheinen lassen. Es ist total lächerlich. Ich vertrete vollkommen harmlose Ansichten der bürgerlichen Mitte, dies allerdings mit einer gewissen argumentativen Renitenz, was dazu führt, dass einige Leute beleidigt sind.

Weltwoche: Sind die Menschen heute wirklich schneller beleidigt als früher, oder verfügen sie nur über die medialen Mittel, ihr Beleidigtsein anders in die Öffentlichkeit zu tragen?

Nuhr: Früher haben die Leute Briefe an Sender geschrieben. Aber da musste man mit der Schreibmaschine schreiben, den Brief zusammenfalten, nach Briefumschlägen und Briefmarken suchen, und schon war die Wut ein wenig verraucht. Heute geht man zum Computer, hackt irgendwas in die Tastatur, schaut nicht mal, ob das überhaupt lesbar ist, drückt auf die Enter-Taste und fühlt sich besser. Das ist eine Form verbaler Inkontinenz. Es kostet kein Geld, man fühlt sich erleichtert danach und zugleich moralisch überlegen. Im freudschen Sinne: Triebabfuhr.

Weltwoche: Sie sind nicht nur Kabarettist, sondern zugleich Künstler mit weltweiten Ausstellungen. Wie kamen Sie zur Kunst?

Nuhr: Ich habe Malerei studiert, habe auch eine Zeit lang gemalt und bin dann zur Fotografie übergegangen, um objektivere Bilder machen zu können. Im Moment sind meine Arbeiten eine Mischung aus Malerei, Fotografie und digitalen Techniken. Ich verstehe sie als eine zeitgemässe Form der Malerei. Allerdings haben wir heute auch eine Ausstellung für Rom zusammengestellt, und da sind weit über die Hälfte der Bilder klassische Handzeichnungen.

Weltwoche: Sie sehen sich also weniger als Fotograf, auch wenn viele Ihrer Bilder auf Fotografien basieren?

Nuhr: Ich sehe mich als Bildermacher, nicht als Fotograf. Klassische fotografische Probleme sind nicht das, was mich bewegt, sondern das Bild, seine Komposition. Die Technik ist zweitrangig. Meine Fotos sind koloriert und ähneln sehr viel mehr der Malerei als der Fotografie.

Weltwoche: Auf Ihrer Homepage sind Ihre Arbeiten nach den Ländern geordnet, in denen sie entstanden sind. Allerdings haben viele Bilder keinen unmittelbaren lokalen Bezug. Man hat den Eindruck, Sie verwenden die Fotos eher als Material.

Nuhr: Ich verwende sie als Bildmaterial, ja. Die Quelle ist dabei mein eigener Lebensraum, und mein Lebensraum ist die ganze Welt. Deshalb versuche ich, die Fotos nicht nur zwischen Castrop-Rauxel und Köln zusammenzutragen, sondern überall. Es gibt Bilder aus allen Kontinenten, von Bolivien bis Japan und von Norwegen bis Sambia. Und aus diesem Material wird dann ein Weltbild geformt, das sich im Gesamtwerk widerspiegelt. Ob das jemand nachvollziehen kann, weiss ich nicht. Mir aber ist das wichtig.

Weltwoche: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrer Arbeit als Kabarettist und als bildender Künstler?

Nuhr: Ich versuche, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und sie dann in einer Weise wiederzugeben, die im besten Fall den Horizont erweitert. Es geht daher in meinen Bildern um das Allgemeine – also um Motive wie Berge, Horizont, Menschen – und um die Details, die das Bild dann wieder einzigartig machen: eine Kolorierung, ein Farbpunkt. Meine Texte funktionieren ganz ähnlich. Es geht um das Verweben von Allgemeinem und Individuellem, von Anspruch und Wirklichkeit. Das macht auch meinen Humor aus. Mit Worten allerdings kann man ganz anders arbeiten als mit Bildern. Bilder sind eher für das Unsagbare zuständig. Und das macht noch immer mit Abstand den grössten Teil der Welt aus. Aus diesem Grund sind meine Texte auch dekonstruktiv. Ich erkläre niemandem die Welt, aber ich erkläre, weshalb die Welt sehr oft anders ist, als man gemeinhin glaubt.

Weltwoche: Sie überblenden in Ihren Bildern häufig Natureindrücke mit bröckelnden Hausfassaden oder Ähnlichem. Reizt Sie das Spannungsfeld zwischen Ewigem und Vergänglichem?

Nuhr: Vergänglichkeit spielt in Bildern sowieso eine Rolle. Bilder bilden etwas ab, was vergangen ist. Das ist selbst bei abstrakten Bildern so. Bilder beschreiben nie das Jetzt. Meine Bilder unterstreichen das noch.

Weltwoche: Die von Ihnen fotografierten Landschaften bekommen durch die Kolorierung etwas Unwirkliches und Schemenhaftes. Interessiert Sie das Unwirkliche?

Nuhr: Ich arbeite tatsächlich gerne so, dass die Landschaft hinter der Farbe verschwindet, dann wieder zum Vorschein kommt, wieder verdeckt wird und schliesslich wieder ein wenig hervorkommt. Dadurch wird sie zu etwas Phantomhaftem. Sie ist dann keine Abbildung der Wirklichkeit mehr, sondern wie eine Erscheinung, wie eine Idee von dem, was da gewesen ist. Und ich denke, darum geht es in Bildern: eine Idee zu zeigen von dem, was war.

Dieses Gespräch erschien erstmals am 4. Februar 2023.