Bei diesem Text von Autor und Islam-Experte Kacem El Ghazzali handelt es sich um einen Versuch, die Geste des deutschen Innenverteidigers Antonio Rüdiger einzuordnen. Der Fussballer zeigte sich zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan mit ausgestrecktem Zeigefinger. Wir dokumentieren den Kommentar von El Ghazzali, für den er von der Bild-Zeitung angefragt worden war, im Wortlaut.
Sehr geehrte Frau Aswad
Vielen herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Die Geste des erhobenen Zeigefingers hat in der islamischen Welt ursprünglich eine rein religiöse Bedeutung als Symbol für den Monotheismus. Sie wird beispielsweise beim Aussprechen des Glaubensbekenntnisses gezeigt.
Interessanterweise war die Tawhid-Geste vor dem Aufkommen des IS in Fotos gläubiger Muslime kaum so prominent und ostentativ zu sehen. Eine Onlinesuche nach alten Aufnahmen muslimischer Gläubiger ergab kein vergleichbares Foto, auf dem die Geste derart demonstrativ in die Kamera gezeigt wird.
Es existiert zwar ein Foto von Osama Bin Laden, das unter Al-Qaida-Sympathisanten verbreitet worden ist und ihn mit afghanischem Turban und erhobenem Zeigefinger zeigt.
Es liegt nahe, dass der IS die Zeigefinger-Geste als Erkennungssymbol direkt von al-Qaida und dem Vorbild Osama Bin Laden übernommen hat. Dafür spricht die ideologische Nähe und die Tatsache, dass der IS ursprünglich aus al-Qaida im Irak hervorging. Allerdings machten Isis-Anhänger die Geste zum allgegenwärtigen Erkennungszeichen in ihren Propagandavideos und Fotos.
Bereits in den Jahren 2014 und 2015, als der IS immer mehr an Einfluss gewann, gab es Artikel arabischer Kommentatoren, die beklagten, dass die Terroristen die Geste für sich gekapert haben. Sie bezeichneten sie als «Isis-Finger» und warnten vor der negativen Umdeutung des ursprünglich religiösen Symbols. Dadurch hat sich die Wahrnehmung und Bedeutung gewandelt. Der erhobene Zeigefinger wird nun häufig mit dem islamistischen Extremismus assoziiert.
Wenn jemand die Geste heute noch verwendet, kommt es meiner Meinung nach sehr auf den Kontext an: Zeigt ein gläubiger Muslim im Rahmen religiöser Handlungen oder Gebete den Zeigefinger, hat das zunächst einmal nichts mit Extremismus zu tun. Wird die Geste jedoch ohne erkennbaren religiösen Zusammenhang gezeigt, insbesondere im Kontext von politischen Botschaften, dann liegt der Verdacht nahe, dass derjenige zumindest mit der Ideologie von Isis und Co. sympathisiert.
Wer die Geste heute in der Öffentlichkeit zeigt, muss sich bewusst sein, dass sie von vielen als Symbol des IsIamismus wahrgenommen wird. Unabhändig von der tatsächlichen Intention kann das schnell zu Missverständnissen führen. Es ist aber auch wichtig, dass nicht jeder Muslim unter Generalverdacht gestellt wird, der den Zeigefinger aus Glaubensgründen zeigt.
In Bezug auf Antonio Rüdiger glaube ich, dass er sich der Problematik und Kontroverse rund um die Geste bewusst sein dürfte. Als öffentliche Person und Profifussballer der deutschen Mannschaft steht er in der Verantwortung, seine Botschaften und Symbolik sorgfältig zu wählen. Es ist durchaus denkbar, dass er die Kontroverse kennt und mit der Verwendung der Geste bewusst provozieren möchte, auch wenn ich seine Intentionen nicht mit Sicherheit beurteilen kann. Es gibt trotzdem andere Möglichkeiten, seine Religiosität auszudrücken, ohne auf ein Symbol zurückzugreifen, das so stark von Terroristen vereinnahmt wurde.
Mit herzlichen Grüssen
Kacem El Ghazzali
Ich wurde vom @bild gefragt, ob ich die Geste @ToniRuediger einordnen kann.
Ein Versuch: pic.twitter.com/XNYFupHzQz— Kacem El Ghazzali (@kelghazzali) March 24, 2024
zeigt uns der bub den drohfinger?
Welch zukunftsweisende Darstellung eines echten bundesdeutschen Mannes. Hautfarbe und Kleiderordnung stimmen, aber der Mittelfinger wäre für den beeindruckten biodeutschen Betrachter die bessere Wahl gewesen!
Ich halte es nicht für zielführend, Gesten, angebliche "Symbole" und letztlich Gedanken zu verbieten. Nach wie vor sollten wir uns darauf konzentrieren, Taten zu verurteilen. Es reicht nicht, dass jemand einem anderen Absichten unterstellt oder bei ihm die falschen Gedanken vermutet. Jeder darf selber entscheiden, wem er die Hand schüttelt und ebenso, welchen Finger er ausstreckt.