Wer sich in der Neuen Zürcher Zeitung über den Besuch von Bundespräsident Alain Berset beim deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz orientieren wollte, las auf der Titelseite folgende fette Schlagzeile: «Scholz verschont Berset mit Kritik».
Daraus soll der geneigte Schweizer Leser folgern: Da haben wir ja nochmals ein riesiges Schwein gehabt, dass der politische Anführer des mächtigen nördlichen Nachbarlandes den Repräsentanten unseres Kleinstaates von der eigentlich wohlverdienten Kritik verschont hat.
Wir sind noch einmal davongekommen. Wie ein böser Schüler, den ein gnädiges Geschick durch irgendeinen Zufall des Lebens vor der wohlverdienten Bestrafung des Lehrers bewahrt. Sei es, weil seine Missetaten nicht ans Tageslicht kamen. Oder sei es, weil der gestrenge Schulmeister gerade mal einen guten Tag hatte.
Im Text selber lesen wir das gesammelte Sündenregister, dessen sich die Schweiz in der Vergangenheit schuldig gemacht hat. «Die Position der Schweiz im Ukraine-Krieg hat in Deutschland für Verstimmung gesorgt.» Es reicht nicht, dass unser Land durch die Übernahme sämtlicher EU-Sanktionen die Neutralität liquidiert hat. Wir müssen aus deutscher Sicht auch Munition liefern – und damit unsere eigenen Gesetze brechen.
Kanzler Scholz habe versucht, «die bestehenden Meinungsverschiedenheiten nicht weiter zu thematisieren». Gott sei Lob und Dank. Womit wir wieder beim Titel wären: «Scholz verschont Berset mit Kritik.»
Warum titelt die NZZ eigentlich nicht: «Berset verschont Scholz mit Kritik»? Um detailliert zu berichten, wie es der Schweizer Bundespräsident trotz guter Gründe diplomatisch unterliess, die ruinöse Energiepolitik der deutschen Ampel-Regierung zu kritisieren. Oder die desaströse Vernachlässigung der Verteidigungsbereitschaft durch konsequente Abwrackung der Bundeswehr. Oder den Selbstmord der deutschen Autoindustrie durch eine verfehlte Klima-Ideologie. Oder die Be- und Überlastung der Schweiz durch deutsche Tagespendler und Hunderttausende von deutschen Zuwanderern.
Die NZZ hat sämtliche Spurenelemente einer Schweizer Sicht in ihrer Berichterstattung aus Berlin preisgegeben. Als Autor des besagten Artikels zeichnet nämlich der deutsche Journalist Rewert Hoffer verantwortlich. Kein Wunder, erhält der Schweizer NZZ-Leser kein Zürigschnätzlets, sondern deutsche Hausmannskost.
Zu den obigen Statement-Vorschlägen an Berset könnte auch noch passen:: Angesichts des Exportüberschusses der EU in die Schweiz - Deutschland vorneweg - werden Sie sicher auf Die EU-Kommision einwirken, dass die EU der Schweiz jährlich eine "Kohäsionsmilliarde" zahlt, nicht mehr wie bisher die Schweiz der EU.