Was für eine Welle! Ein offener Brief musste es sein, unterzeichnet von Organisationen, die sich Red Umbrella Sweden, Lawyers for Human Rights South Africa oder auch European Sex Workers’ Rights Alliance nennen. Dazu ein gutes Dutzend IT-Fachleute, von denen es Millionen gibt.

Sie haben unterzeichnet und ihren Brief an die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten gesandt, weil sie sich grosse Sorgen machen. Grosse Sorgen um ein Projekt der EU, das im nächsten Jahr Wirklichkeit werden soll: die digitale Brieftasche. Ein Irrweg sei das, sagen sie, höchst datenunsicher, und das Schlimmste: Es sei nicht möglich, sich wirklich mit einem Pseudonym, also einer vorgetäuschten Identität, anzumelden.

Worum es geht: Die EU möchte nächstes Jahr eine digitale Brieftasche einführen. Personalausweis, Führerschein und Krankenkassenkarte können dann direkt auf dem Smartphone gespeichert und europaweit zum Bezahlen und Unterschreiben genutzt werden. Sogar die Steuererklärung lässt sich damit abschicken, und an einer Hochschule kann man sich so immatrikulieren. Eine feine Sache also, wenn es funktioniert.

Dazu ist die EU überraschend liberal: Die Nutzung der digitalen Brieftasche ist nicht verpflichtend, und sie kostet nichts. Die Macher setzen allein darauf, dass sich das Projekt am Markt durchsetzt, weil sich damit einfach vieles viel praktischer erledigen lässt. Die EU-Bürger dürfen also mit den Füssen abstimmen, ob sie mitmachen oder lieber abwarten.

Damit sollte an sich den Kritikern der Wind aus den Segeln genommen sein. Ist es aber nicht, wie Red Umbrella, Sex Workers’ und Co. unter Beweis stellen. Was sie eint: Sie lieben die Anonymität. Und sie verteufeln den Fortschritt, bevor er eingetreten ist. Das nennt sich Zukunftspessimismus. Auch dabei steht es natürlich jedem frei, mitzumachen. Ich allerdings rate davon ab.