Soeben hat das Bundesgericht die Wahl des Sozialdemokraten Simon Stocker vom 19. November 2023 zum Ständerat des Kantons Schaffhausen aufgehoben. Der Regierungsrat muss eine Neuwahl ansetzen. Stocker hatte sich damals in einer harten Ausmarchung im zweiten Wahlgang gegen den parteilosen Amtsinhaber Thomas Minder durchgesetzt. Doch der Sieger des Tages hatte zum Zeitpunkt seiner Wahl den Wohnsitz nicht im Kanton Schaffhausen, sondern in der Stadt Zürich. Aus Gründen der Rechtssicherheit sind Stockers bisherige Amtshandlungen, speziell seine Stimmabgaben, trotz der Ungültigkeit seiner Wahl weder nichtig noch anfechtbar.

Damit nimmt eine pikante Wohnortgeschichte ein juristisches Ende, welche die Weltwoche unmittelbar nach der Wahl des SP-Mannes Simon Stocker erstmals zum Thema gemacht hat («Der neue Schaffhauser Ständerat wohnt in Zürich», Nr. 48/23). Stocker lebe mit Frau und Kind in einer respektablen Mehrzimmerwohnung in Zürich Wipkingen, wobei auch beider Namen am Klingelschild prangten. Die Familienwohnung diene auch als Stockers Büro. Auf entsprechende Fragen der Weltwoche antwortete Stocker damals eher vernebelnd als klärend. Aus beruflichen Gründen weile seine Frau «unter der Woche» in Zürich, er und die Familie lebten aber wieder in Schaffhausen. Wo man die Wochenenden verbrachte, blieb offen. Doch die Festlegung des eigentlichen Lebensmittelpunktes ist sowohl politisch wie steuerrechtlich von Belang.

Erfolgreiche Stimmrechtsbeschwerde

Zwei Schaffhauser Stimmberechtigte reichten hierauf eine Stimmrechtsbeschwerde gegen Stockers Wahl beim Regierungsrat ein. Das letztinstanzliche Urteil des Bundesgerichts ist eine Ohrfeige für den Schaffhauser Regierungsrat wie für das kantonale Obergericht. Beide Instanzen hatten nämlich diese Stimmrechtsbeschwerde abgewiesen. Und gleichzeitig kommt das Urteil einen Triumph jener Stimmbürger gleich, die sich davon nicht entmutigen liessen und den Fehlentscheid nach Lausanne weiterzogen. Dort wurde jetzt den Rekurrenten recht gegeben. Denn die Verfassung des Kantons Schaffhausen ist diesbezüglich glasklar. Die strikte kantonsrechtliche Voraussetzung zur Wählbarkeit für den Ständerat lautet wie folgt: Wählbar sind alle im Kanton wohnhaften mündigen beziehungsweise volljährigen Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Zeitlich sind dabei die Verhältnisse am Wahltag massgebend. Der Wohnsitz einer Person liegt laut Bundesgericht dort, wo sich ihr Lebensmittelpunkt befindet.

Im konkreten Fall sei zwar ersichtlich, dass Simon Stocker mit der Anmeldung im Kanton Schaffhausen seine politischen Rechte in Schaffhausen wahrnehme; er hat auch die Absicht bekundet, den Wohnsitz mit seiner Familie von Zürich nach Schaffhausen zu verlegen. Dies sei aber am Wahltag nicht der Fall gewesen, argumentiert das Bundesgericht: «Vielmehr wohnte und arbeitete er primär in der Stadt Zürich und lebte dort auch vorrangig die Beziehung zu seiner Frau und seinem Kind.»

Bitter für Thomas Minder

Das Verdikt der Illegalität der letzten Ständeratswahlen ist bitter für den unterlegenen Gegenkandidaten Thomas Minder, der bei Beachtung des Rechts nicht durch Simon Stocker hätte verdrängt werden können und darum wohl heute noch Ständerat wäre. Im Grunde ist ihm die Wahl durch eine illegitime Kandidatur gestohlen worden. Doch bedeutet das bundesgerichtliche Urteil nicht, dass Minder jetzt automatisch als Ständerat nachrücken würde. Es handelt sich bei den Schaffhauser Ständeratswahlen um eine Majorz- beziehungsweise Persönlichkeitswahl, so dass der Regierungsrat angewiesen wird, Neuwahlen für den nunmehr vakanten Ständeratssitz neben demjenigen des SVP-Vertreters Hannes Germann auszuschreiben.

Angesichts dieses Bundesgerichtsurteils stellen sich Fragen bezüglich der Zürcher Ständerätin Tiana Moser (GLP). Als die Weltwoche deren Lebensmittelpunkt erstmals zum Thema machte («Die Teilzeit-Zürcherin», Nr. 44/23), gerieten Journalisten, Politiker und Künstler in Schnappatmung ob der «verlogenen» Weltwoche, dieser «spiessigen Dreckschleuder» (Viktor Giacobbo). Dabei hatte Moser zu Wahlkampfzwecken ihre Patchworkfamilie bewusst in der Schweizer Illustrierten abfeiern lassen und erklärt, dass sie ihre Zeit teils in Bern, teils in Zürich verbringe. Diese Aufteilung dürfte sich durch die Wahl ihres Lebenspartners Matthias Aebischer (SP) in die Berner Stadtregierung eher noch mehr Richtung Bern verschieben. Auch das gemeinsame Kind aus dieser Beziehung lebt nämlich in Bern.

Doch auch für Tiana Moser gelten als Standesvertreterin strengere Regeln als bei Nationalräten. Gemäss der Zürcher Kantonsverfassung muss ein Ständerat «in kantonalen Angelegenheiten» abstimmen können, was einen Lebensmittelpunkt im Kanton Zürich voraussetzt. Mosers jüngste Tochter hat zum Zeitpunkt der Wahl eine Kita in Bern besucht. Doch wo kein Kläger ist, ist (vorderhand) kein Richter.