Ich versuche kurz, die Lage in Deutschland zu erklären, okay? Kürzlich lernte ich einen Spruch des deutschen, meines Wissens noch nicht gecancelten Dichters Matthias Claudius, gestorben 1815: «Greif nicht in ein Wespennest, doch wenn du greifst, dann greife fest.»

Wer sich in einen Krieg einmischt, sollte sich also vorher über die eigenen Ziele im Klaren sein, die realistisch sein müssen, und diese dann entschlossen verfolgen. Im Fall der Ukraine kann es meiner Ansicht nach nur darum gehen, dass dieses Land neutral bleibt und nicht in eine Art russische Kolonie verwandelt wird. Das, was dazu nötig ist, muss man dann aber auch machen. Falls man ins Wespennest gegriffen hat.

 

Ist Musk ein Satan?

Der deutsche Kanzler prüft seit geraumer Zeit, ob Deutschland, wie Frankreich und andere, Marschflugkörper an die Ukraine liefert, also Raketen. Wenn Olaf Scholz etwas prüft, dann kann das dauern. Am 9. Dezember 2022 meldete zum Beispiel der Spiegel: «Scholz prüft Rückzug von Twitter», und zwar wegen der Übernahme von Twitter durch Elon Musk. In den Augen vieler Linker ist Musk eine Art Satan. Twitter heisst inzwischen «X». Scholz scheint noch zu prüfen.

Das Ankündigen gehört zu den Stärken des deutschen Kanzlers, mit Taten dagegen tut er sich schwer. Das lässt sich auch an seiner «Zeitenwende»-Rede nach Putins Überfall auf die Ukraine erkennen. Sie war, für Scholz’ Verhältnisse, geradezu pathetisch. Deutschland werde «deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes», sagte Scholz. Sein Ziel sei eine «Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt».

Dieses prinzipienlose Schielen nach Popularität stösst unter dem Merkel-Schüler an seine Grenzen.

Am 23. August lautete dann die Schlagzeile der Frankfurter Allgemeinen: «Verteidigungsetat soll mittelfristig sinken».

Von dem allen Nato-Partnern etwa tausendmal gegebenen Versprechen, dauerhaft mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung auszugeben, ist keine Rede mehr. Deutschland ist und bleibt ein Schnorrer. Die Ukraine wird im Wesentlichen von den USA militärisch über Wasser gehalten. Falls die USA demnächst von Donald Trump regiert werden, müssten die Europäer für sie einspringen. Danach, dass sie es ohne die Deutschen könnten, sieht es nicht aus. So viele Tote, womöglich für nichts.

Was will Scholz eigentlich? Er laviert und spielt auf Zeit. Einerseits möchte er nicht als unzuverlässiger Verbündeter in der Nato dastehen. Andererseits will er keine Konflikte mit den Pazifisten in der SPD und in Ostdeutschland. Deshalb tut er, stets mit angemessener Verzögerung, immer gerade das Nötigste. Die Raketen könnte man den Ukrainern schicken oder auch nicht schicken. Beides wären umstrittene Entscheidungen. Scholz wird sie schicken, wenn die Stimmungslage in Deutschland ihm dafür passend erscheint. Das ist sein Stil.

Als Wähler hege ich den Wunschtraum, dass Politiker Überzeugungen haben, sie formulieren und dann danach handeln. Worte und Taten sollten zueinander passen. Willy Brandt hat seine Ostpolitik gegen den Widerstand vieler Westdeutscher durchgesetzt, Helmut Schmidt hat im Entführungsfall Schleyer eine moralisch schwierige, letztlich richtige Entscheidung getroffen, Helmut Kohl die deutsche Einheit gegen die gesamte Linke durchgeboxt. Gerhard Schröder hat mit der «Agenda 2010» die Wirtschaft wieder flott- und seine eigene Partei wütend gemacht. Sie hatten den Mut zu umstrittenen Entscheidungen, in entscheidenden Momenten ihrer Kanzlerschaft.

 

Kampfkraft einer Herde Merinoschafe

Mit Angela Merkel wurde es üblich, nach Stimmungen zu regieren. Heute war Multikulti total gescheitert – am nächsten Tag konnte es gar nicht genug davon geben. Heute war Kernkraft gut, am nächsten Tag des Teufels, je nach Meinungsumfragen. Dieses prinzipienlose Schielen nach Popularität bei gleichzeitiger Verteufelung des Populismus der anderen stösst unter dem Merkel-Schüler Scholz an seine Grenzen. Deutschlands Geschäftsmodell bricht gegenwärtig zusammen, insofern brauchte das Land tatsächlich so etwas wie eine «Zeitenwende». Die lieben USA haben wir für die militärische Abschreckung bezahlen lassen, unsere Bundeswehr besitzt halt nur die Kampfkraft einer Herde Merinoschafe. Billige Energie lieferten die lieben Russen, und die lieben Chinesen kauften fleissig immer mehr unserer Autos. Super! Alle drei Zaubertricks funktionieren jetzt aber nicht mehr.

Was passiert? Nicht viel. Inzwischen lehnen fast drei Viertel der Deutschen ihre Regierung ab. Hatten nicht alle Parteien versprochen, dass sich die Massenmigration von 2015 nie wiederholen würde? Auch dieses Versprechen wurde gebrochen.

 

Harald Martenstein zählt zu den bekanntesten Kolumnisten Deutschlands. Kürzlich erschien von ihm: Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff. Bertelsmann, Fr. 27.90

Die 3 Top-Kommentare zu "Scholz’ Zaubertricks: Dieses prinzipienlose Schielen nach Popularität stösst unter dem Merkel-Schüler Olaf Scholz an seine Grenzen"
  • luke.tam

    In der Tat: eine Marionette! Ein Bild für die Ewigkeit, als er bei der Pressekonferenz wie ein Schulbub neben Biden stand, als der die Zerstörung der Gasleitungen in der Ostsee bekanntgab! Deshalb ist auch keine 'pro forma'-Aufklärung mehr notwendig. Alle wissen Bescheid!

  • Ernemann7b

    Ich halte von Scholz und seiner Hampelmannschaft garnichts. Kein einziger Minister erfüllt seinen Ministerschwur. Scholz ebensowenig. Er ist einfach kein Staatsmann, und dürfte, ob der Skandale, in die er verwickelt ist, diesen Posten garnicht bekleiden. Er war schon früher eine rote Socke und x-mal in der DDR um sich dort mit führenden Politikern zu treffen. Alles in allem ist er eine Marionette der USA, die mit ihm machen können, was sie wollen. Solch einen BK braucht es nicht.

  • Betrachtung

    Scholz ist sicherlich als Kanzler völlig unfähig. Aber vielleicht könnte sich Herr Martenstein einmal das Interview von Roger Köppel mit General a.D. Harald Kujat anhören, vor allem die Passagen, in denen es um den Sinn von weiteren Waffenlieferungen für den Kriegsverlauf geht.