Es scheint, als leiden deutsche Politiker derart stark unter einer AfD- und Orbán-Phobie, dass sie nicht mehr klar denken können.

Ein typisches Beispiel dafür war eine Podiumsdiskussion am Jahrestag 2024 des Deutschen Beamtenbundes im Hinblick auf die Wahlen zum EU-Parlament (Europa-Wahl). Was da abging, war eine eigentlich Indoktrinierung der Beamten mit einseitigen Informationen. Aber die Beamtenschaft beklatschte diese teils abstrusen Wunschvorstellungen sogar noch und nahm es hin, dass niemand eine Gegenmeinung vertrat.

Schon mit ihrem Impuls-Referat heizte Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations die Stimmung gegen die rechtsbürgerlichen Politiker in Europa an: Sollte Trump Ende 2024 die US-Wahl gewinnen, werde er die Demokratie nicht umbauen, sondern abbauen. Ein Sieg der Republikaner würde genau jene Kräfte in Europa stärken, die solche autoritären Systeme wollten. Auch die nachfolgende Podiumsdiskussion drehte sich vor allem um den Kampf gegen die angeblich rechte Gefahr, während der Reformbedarf der EU und die Zielsetzungen der Kandidaten im EU-Parlament in Gemeinplätzen stecken blieben.

Die deutsche FDP-Bundestagsabgeordnete und Spitzenkandidatin der FDP für das EU-Parlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, holte dafür zu einem Rundschlag gegen die Medien aus, indem sie wörtlich behauptete: «Alle Journalisten lügen». Offensichtlich ist Strack-Zimmermann aufgestossen, dass einige Journalisten die hohen Bezüge der Politiker und ihre Lobbyisten-Verbindungen kritisierten.

Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley verkündete, Europa sei gegen die globalen Krisen besser gewappnet, als man in Deutschland glaube. Aber begründen konnte sie ihre Behauptung nicht. Ein Blick auf Deutschland, Italien oder Frankreich genügt doch, um ihre Fehleinschätzung der Lage zu entlarven. In Deutschland herrscht weder Aufbruchstimmung noch wirtschaftliche Blütezeit. Die Abwanderung der Industrie, die Energieknappheit, die Inflation, die Immigrations- und Staatsfinanzkrise sind doch das Resultat des politischen Führungsversagens genau jener Ampel-Parteien, die sich beim Jahrestreffen der Beamten als Hüter der Wahrheit, der Weisheit und Moral aufspielten.

Das zentrale Anliegen der Spitzenkandidatin der Grünen, Terry Reintke, war die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der EU, die derzeit von einer einzigen Person, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, infrage gestellt werde. Die Hetzjagd aller Podiumsteilnehmer gegen den dienstältesten Ministerpräsidenten der EU gipfelte in der Forderung, das Einstimmigkeitsprinzip im EU-Rat der Staats- und Regierungschefs abzuschaffen. Nun ist es allerdings so, dass die Zahl der kleinen und der armen Länder im Süden und Osten Europas mit 15 von 27 EU-Ländern grösser ist als die Anzahl der noch mehrheitlich stabilitätsbewussten nordeuropäischen Länder. Und es sollen ja, abgesehen von der Türkei, noch sieben weitere Armenhäuser (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien) zur EU dazukommen.

Mit ihrer Mehrheit könnten die armen Südländer dann beispielweise höhere Kohäsions- und andere Hilfsgelder oder Steuererhöhungen fordern. Mit einer simplen Mehrheit der Länder würde die Türe zu einer Ausplünderung Deutschlands weit geöffnet. Ohne Vetorecht werden die Bundesregierung und der Bundestag entmachtet. Dann würde wohl der Ruf nach einer Gewichtung der Stimmkraft nach der Grösse der Bevölkerung ertönen.

Mit einem Bevölkerungsanteil von 58 Prozent würden sich die vier grossen EU-Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien) die absolute Mehrheit über die Kleinstaaten sichern. Deshalb werden diese Kleinstaaten einem solchen Stimmkraftsystem nach Bevölkerungsstärke kaum zustimmen. Die deutsche Bevölkerung kann von Glück reden, dass auch ein Beschluss über die «Abschaffung der Einstimmigkeit» Einstimmigkeit voraussetzt.