Für Ali, der das Massaker an den Alawiten in seiner Stadt Latakia überlebt hat, ist es ein klarer Fall: Das jüngste Gemetzel, das den jungen Zahntechniker aus der syrischen Küstenstadt Latakia an die Brutalität des Bürgerkriegs erinnert, begann mit einem versuchten Gegenputsch bewaffneter Assad-Anhänger.

Laut Beobachtern wurden im Lauf der Ausschreitungen etwa 1500 Menschen getötet: 400 Sicherheitskräfte und 1100 Zivilisten, bei denen Islamisten gezielt Alawiten ermordeten.

«Inzwischen hat sich die Lage beruhigt», sagt Ali der Weltwoche am Telefon. Die Armee des Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa habe die Städte, die vorübergehend von Islamisten und Assad-Anhängern eingenommen wurden, wieder im Griff. Al-Scharaas Gegner haben sich in die Berge zurückgezogen.

Jetzt versucht Staatschef Ahmed al-Scharaa, das zerrissene Land mit seinen ethnischen und religiösen Minderheiten nach einem Modell zu einen, das sich an der Schweiz orientiert. Er dezentralisiert die politische Macht und strebt ein föderales System an. Die Zentralregierung wird danach für den Schutz der Grenzen verantwortlich sein, während Kurden, Drusen und Alawiten in ihren Regionen autonom sind.

Ein erster Schritt war ein Abkommen mit dem Oberbefehlshaber der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mazlum Kobane. Das sei ein «Wendepunkt für Syriens lange unterdrückte kurdische Minderheit», sagen Syrien-Experten.

Das Abkommen wertet den einstigen Guerillaführer Kobane zu einer wichtigen Figur im neuen Syrien auf. Gemeinsam mit Übergangspräsident Al-Scharaa versucht er, das Land nach der schlimmsten Gewalteskalation seit dem Sturz Baschar al-Assads zu stabilisieren.

Zudem vereinbarten beide Seiten, einander auf syrischem Staatsgebiet nicht anzugreifen. Die kurdischen Streitkräfte werden zwar weder entwaffnet noch aufgelöst, aber de facto als Gefahr für Damaskus entmachtet.

Es gibt zwar noch viele Stolpersteine, zum Beispiel die Aufteilung der Ressourcen oder die Reaktion der Türkei. Aber erstmals in der Geschichte Syriens wird die kurdische Identität offiziell anerkannt – ein Meilenstein für eine Minderheit, die jahrzehntelang entrechtet war.

Zu Al-Scharaas Annäherung an die Kurden könnte ein Abkommen mit der drusischen Minderheit kommen. Beides verändert den politischen Diskurs. Sie stärken die Legitimität des neuen Machthabers und verschaffen ihm Zeit, das von westlichen Sanktionen gebeutelte Land zu stabilisieren.

Der französische Syrien-Experte Fabrice Balanche hat sich bereits Gedanken über eine mögliche Aufteilung Syriens in mehrere «Kantone» gemacht:

  • Kurden, Alawiten und Drusen, die bereits jetzt eigene Gebiete kontrollieren, könnten als autonome Regionen funktionieren.
  • Christen, Ismailiten und Turkmenen könnten Sonderverwaltungszonen erhalten.

Damit würde ein föderales Modell umgesetzt, das bereits 2017 in einem Arbeitspapier des «Instituts für Föderalismus» der Universität Fribourg vorgeschlagen wurde.

Die Teilung der Macht, so der Autor damals, sei die einzige tragfähige Lösung für Syrien, um den brutalen Bürgerkrieg zu beenden. Vor allem der Schutz und die Anerkennung der territorialen Minderheiten und die Dezentralisierung des Landes könnten wichtige Lehren für Syrien sein – was Assad aber ablehnte, weil er sein Regime auf Angst stützte.

Unter Präsident Al-Scharaa könnten sie nun eine echte Chance haben. Wenn er sich von seinen Wurzeln als Islamistenführer definitiv distanziert hat.