Das war nicht die Rede, die die Europäer hören wollten.

Kein Wort sagte US-Vizepräsident J. D. Vance über die Nato. Kein Wort über die Zukunft der Ukraine. Kein Wort über globale Sicherheit – das Kernthema der jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz.

Stattdessen sprach Vance über Zensur der freien Meinungen in Europa. Über Migration und deren gewalttätige Folgen.

In freundschaftlichem, aber bestimmtem Ton feuerte er eine gepfefferte Breitseite gegen die Art und Weise, wie Europa – aus Sicht der Regierung Trump – ins Abseits geführt wird.

«Wenn ich mir Europa heute anschaue, ist leider manchmal nicht so klar, was mit einigen der Gewinner des Kalten Krieges passiert ist», so Vance. Er beobachte «den Rückzug Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte».

Bloss einen Tag nach dem jüngsten Attentat eines Migranten mit Dutzenden Verletzten, quasi vor der Konferenztür in München, fragte Vance: «Wie oft müssen wir diese entsetzlichen Rückschläge erleiden, bevor wir unseren Kurs ändern und unsere Zivilisation in eine andere Richtung lenken?»

Das liess aufhorchen. Just an jener Konferenz, die sich seit 61 Jahren um Fragen internationaler Sicherheit und Militärbündnisse dreht.

Bereits vor Vance’ Rede hatte US-Präsident Trump wissen lassen, dass er direkt mit Russlands Präsidenten Putin über das Schicksal der Ukraine verhandeln werde. Ohne die EU.

Ein paar Worte des Beistands and die Nato-Partner wären für die geschundenen Seelen der Europäer Balsam gewesen. Doch nichts dergleichen kam Vance über die Lippen.

Das bedeutet nicht, dass sich Trump vom transatlantischen Bündnis verabschieden wird, wie es viele Medien wortreich mutmassen oder gar herbeireden.

Trump hatte mehrfach nach seiner Wahl klargemacht, dass die USA hinter der Nato stehen. Dies tat auch Vance vor seiner Münchner Rede in einem Direktgespräch mit Nato-Generalsekretär Rutte.

«Die Nato ist natürlich ein sehr wichtiges Militärbündnis, in dem wir der bedeutendste Teil sind», so Vance.

Aber ein solides Bündnis braucht starke Partner, keine Trittbrettfahrer. Es braucht Staaten mit starken Armeen. Und vor allem mit starken Gesellschaften, die nicht einknicken vor gesellschaftlichen Modetrends. Und vor lauter Toleranz gegenüber fremden Kulturen und Minderheiten die eigenen Werte ausbleichen.

Genau das warf Vance europäischen Regierungen vor. Viele von ihnen würden einen substanziellen Teil der eigenen Bevölkerung ausgrenzen.

Gemeint waren damit konservative, rechtspatriotische Teile der Gesellschaften, welche in den letzten Jahren massiven Zuwachs erhalten haben. Viele von ihnen würden seiner Meinung nach zensiert und daran gehindert, ihre populistischen Ansichten zu äussern und ihren Glauben zu praktizieren.

Konkret kritisierte Vance die Annullierung der Präsidentschaftswahl in Rumänien, die Verfolgung eines Abtreibungsgegners in Grossbritannien und das Verbot extremistischer deutscher Politiker auf der Veranstaltung selbst.

«Wenn Sie Angst vor Ihren eigenen Wählern haben, kann Amerika nichts für Sie tun», so Vance.

Viele Magistraten und Funktionäre im Publikum waren not amused. Perplex starrten sie auf die Bühne, als Vance zum Höhepunkt seiner Rede kam: Er fürchte die «Bedrohung Europas von innen» mehr als externe Akteure wie Russland und China.

Dann appellierte er an die Europäer, die Redefreiheit zu schützen, und pries Letztere als höchstes Gut: «Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es keine Sicherheit gibt, wenn man Angst vor den Stimmen, den Meinungen und dem Gewissen hat, die das eigene Volk leiten.»

Der Münchner Konferenzsaal hat schon manch geharnischte Tirade erlebt. Doch derart hatte ein Amerikaner seinen verbündeten Europäern noch kaum je die Leviten gelesen.