In der vergangenen Woche wurde der Rechtsextremist Rico P. von einem deutschen Gericht zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Als führendes Mitglied der sogenannten Schlägertruppe 88 soll P. an mehreren brutalen Angriffen auf linke Aktivisten beteiligt gewesen sein. Zudem wurde ihm die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

Im Netz solidarisierten sich unter dem Hashtag #FreeRico umgehend mehrere Politiker der AfD sowie Medienschaffende mit dem verurteilten Straftäter und forderten seine Freilassung. Trotz Verbot gingen am Wochenende Tausende Menschen aus der rechten Szene auf die Strasse und forderten die Freilassung von Rico P., dessen Verurteilung sich auf fragwürdige Aussagen von Linksextremen stützen würde. Später kam heraus, dass eine der Demos von einem lokalen AfD-Politiker angemeldet worden war. Die Innenministerin und andere führende Politiker aus den Regierungsparteien liessen die gewalttätigen Ausbrüche unkommentiert.

Wundern Sie sich gerade über das, was Sie gelesen haben?

Das könnte daran liegen, dass ich diese Geschehnisse frei erfunden habe. Weder gibt es den verurteilten rechtsextremen Straftäter Rico P., noch haben sich Politiker oder Medienschaffende mit ihm solidarisiert. Selbstverständlich gab es auch keine Neonazi-Aufmärsche mit Tausenden gewaltbereiten Teilnehmern, die die Freilassung von P. forderten.

Ja, auch die wirklichen Nazis legitimierten ihr Handeln durch ein eigenes moralisches Wertesystem.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich mich bei diesen Ausführungen von einem anderen Fall habe inspirieren lassen. Genau genommen handelt es sich um eine exakte Spiegelung dessen, was sich in der letzten Woche in Deutschland abspielte – nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. Statt um einen Rechtsextremisten ging es um eine Linksextremistin, und statt der Solidaritätsbekundungen durch AfD-Politiker gab es welche von den Grünen. Sogar das mit der Demo-Anmeldung stimmt. Die ging nämlich vom grünen Stadtrat Jürgen Kasek aus, der die Meinung vertritt, dass Deutschland kein Problem mit Linksextremismus habe, sondern mit «Nazis in den Behörden».

Lina E. wurde zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, weil sie zusammen mit ihren drei Mitangeklagten gewalttätige Überfälle auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten beging. Und in der Bundesrepublik scheint es das Normalste der Welt zu sein, wenn prominente Mitglieder einer Regierungspartei die Freilassung einer solchen Person fordern, während gewaltbereite Autonome den Leipziger Stadtteil Connewitz in Schutt und Asche legen.

Es sind dieselben Kräfte, die sich in Abgrenzung zur AfD gerne als Teil der «demokratischen Parteien» bezeichnen, die ganz offensichtlich immer wieder ein Problem mit den im Grundgesetz verankerten Werten dieses Landes haben. Die anscheinend der Meinung sind, dass der Zweck die Mittel heiligt und Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten deshalb legitim sei im Kampf gegen den Faschismus.

Wer so argumentiert, ist alles, aber sicher kein Demokrat. Im besten Fall ist er ein Idiot, der sich zwar jeden Tag in der bornierten Selbstgewissheit suhlt, den Aufstieg des Vierten Reichs gerade eben noch so auf Twitter verhindert zu haben, aber von der Gefährlichkeit einer verabsolutierten subjektiven Moral keine Ahnung hat. Ja, auch die wirklichen Nazis legitimierten ihr Handeln durch ein eigenes moralisches Wertesystem. Richtig war das, was sie taten, deshalb trotzdem nicht.

Wer glaubt, Gewalt gegen Rechtsextremisten ginge schon irgendwie in Ordnung und sollte deshalb keine Strafe nach sich ziehen, hat bis heute nicht verstanden, dass in einem weniger funktionierenden Staat er schon morgen derjenige sein könnte, der verfolgt wird und dessen Verfolgung damit gerechtfertigt wird, dass es ja irgendwie den «Richtigen» träfe. Tatsächlich zeigt sich auch hier, dass es kein politisches Spektrum gibt, das so oft von allgemeinen Menschenrechten redet und so wenig davon versteht, wie das linke.

Ursächlich hierfür ist der tiefverankerte Glaube, die letztgültige Wahrheit für alle zu besitzen. Der oberste Richter über Gut und Böse. Über das, was legitimer Rechtsbruch ist und was nicht.

Aber wer den Rechtsstaat im Rahmen subjektiver Moralvorstellungen zur Verhandlungsmasse erklärt, ist kein Kämpfer gegen den Faschismus, sondern immer dessen Wegbereiter.