Joe Biden ist fertig. Der amerikanische Präsident ist nicht mehr in der Lage, sein Amt auszuüben. Das ist während des neunzigminütigen TV-Duells gegen Herausforderer Donald Trump deutlich geworden. Jetzt fragt sich die Demokratische Partei, wen sie an Bidens Stelle bis Ende August noch aus dem Hut zaubern kann. Das grosse Problem: Vizepräsidentin Kamala Harris ist unbeliebter als der gebrechliche Präsident. Es braucht einen Neuen. Das wird kein leichter Ritt.

Wer wollte, sah die Ironie. Seit drei Jahren schreiben unsere Medien, ein Geistesgestörter führe die Atommacht Russland. Putin sei krank, paranoid, mit einem Dachschaden aus der Corona-Pandemie gekommen, seine Politik demnach Ausfluss eines beschädigten Gehirns. Nach dieser Fernsehdebatte stellt sich nun für alle sichtbar heraus: Nicht Russland, sondern die Supermacht Amerika wird seit geraumer Zeit von einem schwer angeschlagenen, alterskranken Staatsoberhaupt gelenkt.

Nicht die Demokratische Partei, anscheinend offerierte Trump einen möglichst frühen Debattentermin. Und lieferte den Gegnern damit vielleicht die Anschauungs-Grundlage, den schlingernden Präsidenten lozuwerden. Der 81-Jährige wirkte uralt, mumienhaft. Manchmal starrte er ins Leere. Oft verlor er den Faden. Es war ein trauriges, grausames Bild. Sogar Anhänger des Präsidenten nannten es ein «Desaster», ein «Zugunglück». Warum eigentlich lässt Bidens Ehefrau Jill so etwas zu?

Herausforderer Donald Trump hielt sich zurück. Anders, als vielleicht erwartet worden war, schlachtete er die Greisenhaftigkeit seines Gegenübers kaum aus. Mitgefühl? Pietät? Vielleicht spielte hier das neue, gute Sendeformat ohne Saalpublikum mit streng reglementierten Sprechzeiten und jeweils ausgeschalteten Mikrofonen eine disziplinierende Rolle. Es gab weniger Theater, weniger Geschrei. Doch auch Trumps Sprüche wirkten vor vier Jahren frischer.

Die US-Wahlen fallen in eine explosive Zeit. Die Ukraine taumelt am Rande eines Atomkriegs. Im Südchinesischen Meer stehen die Zeichen auf Konfrontation. Der Nahe Osten brennt. Europa droht eine gewaltige Wirtschaftskrise und politische Unruhe. Ausgerechnet die Politiker, denen die Wähler davonlaufen, führen auf Seiten des Westens Regie im neuen Werteweltkrieg gegen die angeblichen Despotien des Ostens. Selten haben wir die Gegenwart fiebriger, unberechenbarer, gefährlicher erlebt.

Ob die Welt in die Luft fliegt, entscheidet sich in den USA. Bei den Wahlen im kommenden -November geht es nicht allein um innenpolitische Fragen, «Gender», «woke» oder anderen Unsinn. Es geht um Krieg oder Frieden. Es geht darum, wie sich die Weltunordnung entwickelt, auf was für eine Welt wir zusteuern, auf eine Welt der grossen Kriege und der Konfrontation oder auf eine Welt der Zusammenarbeit, der einigermassen friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Staaten und Zivilisationen.

In den USA stehen sich aussenpolitisch zwei Lager gegenüber: die Globalisten und die Isolationisten. Die Globalisten steuern die Regierung des auswechselbaren Joe Biden, und sie haben, «neokonservativ», auch eine starke Stimme bei den Republikanern. Sie fordern die hegemoniale Rolle Amerikas. Die USA sollen ihre Regeln weltweit durchsetzen. Wer sich wehrt, bekommt Probleme. Russland muss nach Asien gedrängt und gestutzt, von Deutschland getrennt werden. Ziel ist ein Regimewechsel in Moskau.

Trump gibt an, das Gegenteil zu verkörpern. Seinen Einstieg in die Politik begründete er auch damit, keine «sinnlosen Kriege» mehr führen zu wollen. Seine Parole «America first» ist kein Schlachtruf zur Weltherrschaft, sondern das Signal zur Rückkehr von einer globalen Gesinnungs- zu einer nationalen Realpolitik. Unter den Staaten gilt: friedliches Nebeneinander konkurrierender Systeme. Trump ist Geschäftsmann. Er schürt den Streit, um den Konflikt zu vermeiden. Am Ende sucht er den «Deal», den Kompromiss.

«Ich werde den Ukraine-Krieg noch vor meinem Amtsantritt beenden», lautete Trumps wichtigster Satz im Fernsehduell. Zwar sagte er nicht, wie, aber die Aussicht allein ist ein Lichtblick. Immerhin scheint er sich bewusst zu sein, wie akut die Lage ist. Das unterscheidet ihn von den meisten aktiven Politikern. Drastisch warnte er auch vor der Gefahr eines dritten Weltkriegs. Das dürfte vor allem in Europa gehört worden sein, wo die nukleare Apokalypse, sollte sie kommen, konkret stattfinden würde.

Was war so schlimm an Trump? Während seiner ersten Amtszeit brummte die US-Wirtschaft. Es gab weniger Kriege. Trump schien die globalen Rivalitäten mit Xi und Putin besser auszubalancieren als sein Nachfolger. Seine Friedensinitiativen im Nahen Osten waren bahnbrechend. Andere Staatsoberhäupter haben für geringfügigere Leistungen den Friedensnobelpreis bekommen. Trump ist kein Totengräber der Nato. Im Gegenteil. Sein Aufruf, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben, war der Zeit voraus.

Natürlich kann sich auch Trump nicht den Vektoren der US-Aussenpolitik entziehen. Der gigantische Militärapparat wird unter seiner Führung keine Heilsarmee. Den USA werden allzu gute Beziehungen zwischen Russland und Deutschland wohl stets ein Dorn im Auge bleiben. Doch Trump ist kein aussenpolitischer Scharfmacher, sondern ein Pragmatiker und, ja, auch ein grosser Narzisst, aber ein ehrlicher, in seiner Selbstverliebtheit authentischer, weniger verlogen als andere, die es besser verbergen.

Immerhin: Unter dem robusten Kämpfer und Provokationsartisten besteht eine gewisse Hoffnung für eine friedlichere Welt. Sogar die Aussicht auf eine Wiederherstellung sachlicher Beziehungen zu Russland scheint nicht abwegig. Wenn einer es schaffen kann, das auch durch westliche Fehler verkrachte Verhältnis wieder einzurenken, dann wohl am ehesten er. Wir leben in gestörten, auch denkgestörten Zeiten. Manchmal braucht es unkonventionelle Typen von aussen. Wer den Frieden will, wählt Trump.