Dieser Text erschien zuerst auf Focus online. Die Redaktion.

Die AfD steht in Umfragen gleichauf mit der SPD. Hauptgründe dafür: Massive Unzufriedenheit mit den Regierenden und eine Union ohne überzeugendes Spitzenpersonal. Der ARD-Deutschlandtrend ermittelt, dass derzeit sieben von zehn Deutschen mit der Arbeit der Bundesregierung wenig bis gar nicht zufrieden sind. Das Institut für Demoskopie Allensbach misst sogar den niedrigsten Wert für eine Kanzlerpartei, der in der Geschichte der Bundesrepublik je gemessen wurde.

Die Unzufriedenheit hat sachliche Gründe wie Probleme mit Inflation und Migration, die nicht gelöst werden. Dazu kommt eine Politik, die als Bevormundung empfunden wird. Die ideologisch motivierte Abschaltung der Atomkraftwerke, Heizungsverbote und Gendergebote sind Gründe für die schlechte Stimmung.

Wolfgang Bosbach, inzwischen einer der Altvorderen der CDU, beschreibt es so: «Mit ihren politischen Schwerpunkten und einer Sprache, die allenfalls in der rot-grünen Szene auf Begeisterung stösst, entfernt sich die Ampel immer mehr von den ganz alltäglichen Sorgen der Menschen.» Die AfD, die sich gern mit den Worten ihres Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla als «Partei des gesunden Menschenverstands» bezeichnet, ist inzwischen näher dran. Machen die anderen so weiter, spielt die Zeit für die Rechtskonservativen.

Wer mit der AfD liebäugelt, gehört also längst nicht mehr zu einer Minderheit. Doch Enttäuschung über die anderen reicht nicht als Motiv für ein Kreuz, das zur Wahl bei der AfD landet. Wer sich der AfD zuwenden will, sollte auch deren Personal unter die Lupe nehmen.

Das Ergebnis: Führende Köpfe der Partei pflegen noch immer ein menschenverachtendes Weltbild.

Da ist eine stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, die sich unter der letzten Regierung zu dem Satz hinreissen liess: «Je länger Merkel am Ruder der CDU bleibt, desto mehr Fleisch werden wir von ihrem Kadaver reissen.» Da ist der AfD-Europa-Abgeordnete namens Nicolaus Fest. Er sagt Sätze wie: «Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel.» Und da ist immer wieder Björn Höcke, der Fraktionschef der Partei im Thüringer Landtag und Mitautor des AfD-Programms, dessen Immunität gerade – mal wieder – aufgehoben wurde. Die Staatsanwaltschaft Halle hat Anklage gegen ihn erhoben. Hintergrund ist eine Rede Höckes, bei der er den Aufruf «Alles für Deutschland!» verwendet haben soll. Dieser ist eine SA-Losung und steht deswegen hierzulande auf dem Index.

Über Höckes Sprache ist jüngst eine wissenschaftliche Arbeit von der jungen Historikerin Berit Tottmann vom Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg erschienen. Sie setzt sich mit Höckes Reden auseinander und untersucht sein autobiografisches Buch «Nie zweimal in denselben Fluss», in dem Höcke im Gespräch mit Co-Autor Sebastian Hennig sein politisches Programm ausbreitet.

Tottmann stellt fest, Höcke habe sich «durch provokante und kalkulierte Tabubrüche einen Namen gemacht, indem er ausspricht, was konträr zur deutschen Mehrheitskultur steht», beispielsweise als er im Januar 2017 das Berliner Holocaust-Mahnmal als «Denkmal der Schande» bezeichnete.

Die Historikerin verwendet den sogenannten Framing-Ansatz zur Textanalyse, das heisst, sie stellt Höckes Äusserungen in einen grösseren Kontext, «Sinnhorizonte» nennt sie es. Drei zentrale Themen identifiziert Tottmann, die, so schreibt sie, «ein umfassendes Schlaglicht auf Höckes propagandistische Selbstinszenierung werfen». Erstens stehe der AfD-Spitzenpolitiker für «reaktionäre Geschlechter- und Familienideale», wenn er etwa die These einer «natürlichen Geschlechterdifferenz» betone. Zweitens gehe es Höcke und seinen Fans in der AfD um ein ausgeprägt nationalistisch geschichtsrevisionistisches Denken. Er konstruiere eine «deutsche Heimat», also die «Imagination eines geografischen, kulturellen und sozialen Raumes», den das deutsche Volk bewohne. Der Volksbegriff sei in Höckes Vokabular zentral.

Er bezeichne das Volk als Orientierungspunkt in seinem politischen Denken und Handeln. Es sei in Höckes Worten eine menschliche Gemeinschaftsform, die nicht so «eng-verschwitzt wie eine Sippe oder ein lokaler Stamm ist, […] aber auch nicht so entfernt abstrakt wie die Menschheit». Diese Vorstellung sei drittens eng verknüpft mit völkisch-rassistischen Vorstellungen eines «deutschen Volkskörpers» der im Gegensatz zu «Andersstämmigen» stehe und ständig der Gefahr ausgesetzt sei, gegenüber den anderen in die Minderheit zu geraten.

Diese anderen würden bewusst herabgewürdigt, während die eigene Perspektive erhöht werde.

Der Volksbegriff habe für ihn damit eindeutig einen biologischen sowie ethnischen Bezug. Wenn er von «Volkstod» oder einem «vitalen Volk» rede, erwecke er eine organische Vorstellung und stilisiere die Deutschen zu einem «lebendigen Organismus, der durch Fremdartiges angegriffen wird und daran erkrankt». Bedroht werde das deutsche Volk, das bereits auf «64 Millionen eingeborene Deutsche» geschrumpft sei, laut Höcke vor allem «durch den Bevölkerungsaustausch». Er nehme an, dass «Gutmenschen» – gemeint sind alle, die eine linke Position vertreten – «Islamkriminelle zur gezielten Gesellschaftszersetzung ins Land holen» und damit «das Volk verraten». Er spreche von der «germanischen Grundsubstanz», was eine klar rassenideologisch zuzuordnenden Vokabel sei. Er wolle «alles in seiner Kraft Stehende tun, die Zukunft seines Volkes und seiner Kultur zu verteidigen». Er wende sich gegen die Vermischung unterschiedlicher Ethnien, wie es seiner Ansicht nach in Amerika passiert sei. «Diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren» zitiert die Historikerin das Objekt ihrer Untersuchung.

Sie macht immer wiederkehrende Erzählmotive aus: «Das Motiv der Dummheit und Unbelehrbarkeit enthält das Narrativ der Körpermaschine, bei dem den Herabgesetzten der Verstand (…), das heisst eine vorausschauende Denkfähigkeit» abgesprochen werden. Das «Fress-Motiv» unterstelle ihnen, ihren Selbsterhaltungstrieb ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen, während das Sex-Motiv auf ihre sexuelle Vitalität abhebt. Den «Anderstämmigen» werde unkontrollierbare Triebsteuerung attestiert, infolgedessen eine massive Vermehrung. Im «Fäkal-Motiv» würden Gegner schliesslich als «dreckig, unhygienisch» und als Träger «gefährlicher Krankheiten» dargestellt.

Am deutlichsten wird Höckes Denken in seinen eigenen Worten, weswegen Tottmann ihn immer wieder umfangreich zitiert, etwa mit diesen beiden Sätzen: «Ich bin sicher, dass – egal, wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.»

Höcke dürfte die Studie nicht weiter erschüttern. Für die Zunft der Historiker hat er folgenden Satz parat: «Die einen studieren Geschichte. Andere machen sie.»

Die AfD-Führung hat mehrmals versucht, Höcke aus der Partei auszuschliessen. Letztlich scheiterte sie daran, dass er zu viele Unterstützer hat und seine innerparteilichen Gegner am Ende auch Höckes Anziehungskraft im Rechtsaussenlager schätzen.

Allerdings schadet der Rechtsextremismus der AfD auch von innen: Vom Parteichef bis zu Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitikern – keine Partei hat so viele Funktionäre verloren wie die inzwischen mehr als zehn Jahre alte AfD. Besonders häufig genannter Grund für einen Austritt ist seit Jahren der Extremismus in der Partei.