Diese Rede hielt Wirtschaftsminister Robert Habeck am 13. März 2024 beim Zukunftstag Mittelstand. Wir dokumentieren sie im Wortlaut.
Guten späten Nachmittag.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich hoffe, Sie können noch ein bisschen. Ist es für Sie ein langer Tag schon gewesen? Und Sie haben jetzt, ich weiss gar nicht, halte ich jetzt hier die zehnte Rede und es ist noch nicht zu Ende.
Ich hoffe, ich langweile Sie nicht. Aber jetzt würde ich tatsächlich die Gelegenheit nutzen, das Dialogische, was Herr Ahlhaus – lieber Herr Ahlhaus, danke für die Einladung –, die ja auch sehr persönlich von Ihnen vorgetragen wurde, zu nutzen. Und deswegen mache ich es jetzt anders als in dem vorbereiteten Skript.
Wenn Sie mir hier auf der Bühne Hausaufgaben geben, dann fange ich damit an, und die allgemeinen Ausführungen – und darf ich das sagen? –, die Wertschätzung, das Loblied des Mittelstandes kommt dann zum Ende. Also wenn ich da bin, dann haben sie es geschafft, und ich bin durch die Rede durch.
Aber erst mal anfangen möchte ich – fast anfangen – mit dem Konkreten: Nur zwei Vorbemerkungen, die jetzt gerade aus der letzten halben Stunde und aus der letzten Minute entstanden sind.
Die erste Vorbemerkung, weil sie so mitleidig mit mir waren, dazu besteht kein Grund. Denn natürlich sind die Situationen, die Zeiten nicht leicht. Aber – und Sie, Herr Ahlhaus, Sie kennen ja das Schicksal, das ein selbst gewähltes ist. Ich bin Minister geworden, nicht um die leichten Dinge zu bestaunen und den billigen Applaus zu bekommen, sondern um Probleme zu lösen.
Und anders als Sie, die ja Unternehmen besitzen, ist meine Zeit in irgendeiner Form begrenzt auf vier Jahre. Und vielleicht werden sie noch mal vier Jahre. Aber diese vier Jahre muss ich nutzen bis zur Verausgabung, denn das ist das Privileg, das mir mit dem Amt aufgetragen wurde. Und es ist ein Unterschied zu dem, was Sie machen, leisten müssen. Denn Sie haben Verantwortung für die Unternehmen über diese Jahre, wahrscheinlich in den Familienunternehmen, über Jahrzehnte und vielleicht über Generationen hinweg.
Und deswegen verstehe ich natürlich, dass in schwierigen Zeiten und Zeiten, wo so vieles auf einen einprasselt, wo so viele Krisen und Kriege sich überlappen, die Unruhe, die Sorge, vielleicht die Unzufriedenheit und vielleicht auch der Zorn da sind. Denn es ist ja ihr Leben und ihre Verbindung mit Ihrem Unternehmen, das so unter Druck steht. Ich wäre froh, auch wenn Sie vielleicht im Detail Nachfragen haben, auch kritisch sind mit dem, was die Bundesregierung oder was ich tue. Wenn Sie dennoch das Gefühl haben, dass ich auch Ihr Anwalt bin.
Und ich jedenfalls will dafür kämpfen, dass der deutsche Mittelstand, die deutsche Wirtschaft diese schwierige Phase übersteht – und nicht nur übersteht, sondern gestärkt und prosperierend aus dieser Phase hervorgeht. Und ein bisschen werde ich gleich erläutern, wie weit wir schon gekommen sind, aber jedenfalls mein Gefühl ist – und ich begründe am Ende noch mal, warum das so wichtig ist –, dass ich mich als ihr Anwalt fühle.
Zweitens, sehr geehrte Damen und Herren, ich hatte eben ein Gespräch mit dem Premierminister von Malaysia, der nun nach mir gleich reden wird. Und ohne jetzt die Details des Gesprächs Energiepolitik, Handelspolitik, die Möglichkeiten von Investitionen auch in Malaysia wiederzugeben. Was mich berührt hat, ist, dass er gesagt hat – er ist jetzt seit anderthalb Tagen in Deutschland, viele Gespräche geführt – und wenn man aus Malaysia auf Deutschland schaut, dann sieht man ein Land, das jedes Potenzial hat, das so eine Robustheit haben kann wegen seiner gewachsenen demokratischen Kultur, wegen der Innovationskraft der Unternehmen, wegen der finanzpolitischen Feuerkraft, die dieses Land hat, dass er jeden Grund für Optimismus sieht.
Das ist manchmal ein bisschen schwer, wenn man die innerdeutschen Debatten hat, und ich wache auch nicht jeden Morgen strahlend auf, aber der Blick von aussen hilft vielleicht manchmal, einzuordnen, wie andere auf uns schauen. Und ehrlicherweise ganz ähnlich ist es mir in den USA ergangen, wo sie erst staunend davorstehen, wie schnell wir uns aus den bangen Seelen und Krisen dieser Zeit befreit haben und wie schnell wir es versuchen oder hinbekommen haben, Krisen zu lösen.
Was ich also sagen will, ist, dass bei allen Problemen, die wir zu diskutieren haben und die zu lösen sind, aus meiner Sicht die erste Frage ist: Gehen wir mit einer Haltung zu diesem Problem oder auf den Platz, die ausstrahlt: Wir werden dieses Spiel gewinnen, wir wollen dieses Spiel gewinnen. Und es gibt manchmal zu viele Akteure, die im Moment nur nicht verlieren wollen.
Playing to win or playing not to lose – das klingt wie das Gleiche. Es ist aber nicht das Gleiche. Es macht den Unterschied, den fundamentalen Unterschied aus. Und das, denke ich, ist etwas, was Ihnen als Mittelständler und Mittelständlerinnen, als Unternehmerinnen und Unternehmer vertraut ist. Etwas unternehmen heisst, ins Risiko zu gehen. Mutig zu sein und etwas gewinnen wollen. Ein Risiko natürlich ausbalanciert einzugehen. Aber eben kein Risiko einzugehen, ist auch keine Lösung.
Und das gilt, glaube ich, für die Politik. Das gilt für Sie in ihrem Alltag. Und das gilt ein Stückchen auch für Deutschland. Wenn wir die Europameisterschaft gewinnen wollen, dann müssen wir halt Tore schiessen wollen und nicht nur verhindern wollen. Und wenn wir dieses Land nach vorne bringen, die Wettbewerbssituation bestehen wollen, dann müssen wir ebenfalls auf den Platz gehen, um dieses Spiel gewinnen zu wollen und nicht mit hängenden Ohren und gesenkten Köpfen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich nehme mir jetzt die Bälle, die mir zugeworfen wurden, auf. Um es konkret zu machen: Christine Marine sagte eben eine ganze Reihe von Punkten: Bürokratieabbau – da sprachen Sie von Aktenordnern. Das ist ja nicht nur metaphorisch bezeichnend, sondern wahrscheinlich ist es sogar so, dass neben dem ganzen Bürokratiekram Sie auch noch Aktenordner haben müssen. Ich jedenfalls habe das schon an anderer Stelle zitiert. Ich hoffe, ich langweile sie nicht damit. Aber es ist eine so sprechende Anekdote. Da hat mir ein Unternehmer mitgeteilt, hat als Anweisung von der Behörde, so glaube ich, ein Bauamt, bekommen, dass er den digitalen eingereichten Antrag bitte auch ausgedruckt einreichen sollte mit dem Hinweis, aber die Dinger nicht zu tackern, weil es zu mühsam ist, die Klammern rauszuholen, wenn die Dinger eingescannt werden.
Also das war bestimmt, also mindestens die Hälfte davon ist noch wahr und auch Herr Wallraff sprach ja davon, Digitalisierung muss nach vorne gebracht werden.
Lassen Sie mich kurz bei Bürokratie bleiben: Wir haben viel nach vorne gebracht. Ich, in der Tat, in meinen Bereichen erst mal entlang der schieren Not des Tages. FSU-Terminals, dann Gasleitungen, dann Wasserstoffleitungen, Ausbau der erneuerbaren Energien, Ausbau der Stromnetze. überall haben wir versucht, die Planungs- und Genehmigungsverfahren einzukürzen, zu halbieren – Uwe Petersen, wo immer du jetzt gerade sitzt, du kannst davon ein Lied singen, und das trägt Früchte.
Wir hatten gerade gestern eine grosse Runde mit den Stromnetzbetreibern – also Tennet, Amprion usw. – zwischen eins und vier Jahren sind die Genehmigungs- und Bauzeiten jetzt verkürzt worden. Die Möglichkeit erneuerbare Energien auszubauen – Sie sehen es –, sie beschleunigen sich permanent und auch das Wasserstoffnetz, das wir ja für die nächste Generation von Energieträgern bauen, soll mit der gleichen Geschwindigkeit errichtet werden wie die FSU-Terminals.
Da haben wir also viel gelernt, wie es gehen kann. Und mein Eindruck ist, das Abendland ist nicht untergegangen. Wir haben ja nicht die Standards für Brandschutz oder für Artenschutz niedriger gehängt. Wir haben nur die Genehmigungsverfahren günstiger gehängt, haben nur gesagt, die Auslegungsfrist beträgt nicht zwei Jahre, sondern vielleicht zwei Wochen. Es wird nur erstinstanzlich dagegen geklagt. Wir übernehmen Genehmigungen, die schon eine Stelle ausgesprochen wurden für eine andere Stelle. Wenn eine Rohrdicke schon mal explosionsartig durchgeprüft wurde in Mecklenburg-Vorpommern, dann kann sich ja wohl auch in Niedersachsen verbaut werden. So sind wir vorgegangen. Und mir leuchtet nicht ein, warum wir so was nicht auch für das Baurecht, für die Unternehmensgründung, für die Buchführung und für das Arbeitsrecht umsetzen sollen. Wir haben gelernt, dass wir den Schutzstandard trotzdem als tief zivilisiertes Land hochhalten können. Aber die permanente Neugenehmigung, die Doppel- und Dreifachung und das Berichten für Pflichten, bevor sie überhaupt eingegangen sind, also um einen Auftrag zu generieren, schon mal nachzuweisen, dass, wenn man ihn erfüllen würde, man volles getan hat, dass wir das nicht brauchen. Wir können schlanker, effizienter und in dem Sinne agiler werden. Die Bürokratie ist wie eine Last auf uns. Das Gute ist, sie abzubauen, kostet kein Geld. Sie kostet nur, und das ist der Punkt, den ich machen will, unternehmerischen Mut. Wenn das buchstäblich so gemeint, warum ist die bürokratische Last so hoch? Nun, weil Bürokratie-Verwaltung ja quasi der Staat ist und der Staat – und das ist ja gut – man muss also verstehen, dass die Bürokratie entsteht aus etwas Gutem heraus. Wenn man nur sagt, das sind alles Idioten, versteht man nicht, warum. Da, wo das Problem ist, ist etwas Gutes, denn der Staat macht ja keine Fehler.
Stellen Sie sich vor, jede zweite Baugenehmigung wäre wieder zu kassieren und Sie wären mit dem Risiko alleine gelassen. Oder jede zweite Lebensmittelausgabe – Bäcker oder Restaurants – wäre gesundheitsgefährdend. Alle hätten permanent Durchfall. Wäre auch nicht gut. Der Staat macht keine Fehler. So weit, so gut. Wenn der Staat aber keine Fehler macht und alle Genehmigungen – vom Bauverfahren bis zu Genehmigungen für Stromleitungen – vor Gericht beklagt werden, dann will er auch gar keine Fehler machen.
Und so kommt es, dass die Verwaltung immer auf der Höhe der technischen Entwicklung neue Erkenntnisse gewinnt über die Messung von Infrafrequenzschall, die Möglichkeit, wie man Bakterien oder Allergieformen in irgendwelchen Lebensmitteln aufspüren kann. Dann werden irgendwelche Arten detektiert, die man noch mit anderer Sensorik messen kann. Und so kommt immer ein druff und ein druff und ein druff, weil ja alles wieder geklagt werden kann.
So baut sich quasi die Bürokratie aus sich selbst heraus auf. Aber der Punkt ist, weil wir keine Fehler machen wollen. Wenn wir also nie Fehler machen wollen, dann werden wir in Bürokratie absaufen. Die einzige Chance, das nicht nur durch Mund-zu-Mund-Beatmung von Ministern, die dann hier und da zugerufen bekommen, den Paragrafen kannst du abstreifen, da musst du was ändern, ist zu lesen.
Eine andere Kultur. Und diese Kultur ist eine Wette. Und zwar eine Wette, das muss ich offen sagen, die wir als Gesellschaft, als Land, auch in der Politik eingehen müssen. Wenn wir sagen, wir entscheiden auch mit 95 Prozent durch Prüfungswahrscheinlichkeit und das führt zur Vervierfachung, Verzehnfachung der Genehmigungen, einer Reduktion der Bürokratie um den Faktor 50 oder wie viel Sie auch wollen.
Aber das Risiko ist – 95 Prozent heisst halt, dass von 100 Entscheidungen fünf auch mal nicht richtig sein können und diese fünf Prozent dazu führen, dass die Minister ihre Referatsleiter oder ihre Abteilungsleiter entlassen oder die politischen Entscheidungsträger öffentlich zum Rücktritt aufgefordert werden. Dann wird es nicht passieren. Wir müssen uns entscheiden und wer mutig und risikobereit sein wollen – und risikobereit heisst auch, darüber zu streiten, welches Risiko richtig ist. Und wenn Minister permanent Fehlentscheidungen machen, dann werden sie halt abgewählt. Ich will ja jetzt nicht einen Blankoscheck für permanente Fehler haben, aber wenn wir es nicht schaffen, uns Verantwortung wieder zurückzugeben, und Verantwortung heisst halt Vertrauen in die Richtigkeit der Entscheidung und dann wird abgerechnet. Dann werden wir weiter bei Planungszeiten von 6 bis 10 Jahren bleiben. Das wird dieses Land am Ende ruinieren.
Von Ihnen lernen, von Unternehmerinnen und Unternehmern lernen heisst, wieder unternehmerisches Denken auch in den Genehmigungsentscheidungen auch bei dem Abbau von Bürokratien einzuführen. Aber es bedeutet, ins Risiko zu gehen und die Leute für Risikobereitschaft am Ende auch zu belohnen und nicht zu bestrafen.
Dann sagte Frau Marin: Anerkennung und Arbeit. Und jetzt will ich nicht mit meinem vorherigen Leben langweilen und über den philosophischen Charakter von Arbeit und Anerkennung reden. Aber ich kann Ihnen sagen, es gibt einen Zusammenhang und es ist nicht schlimm zu arbeiten. Im Gegenteil, die Würde eines Menschen, ja, ich würde pathetisch sagen, die Würde eines menschlichen Lebens entsteht durch Arbeit, und die Integration in die Gesellschaft entsteht durch Arbeit.
Nicht arbeiten zu wollen oder nicht arbeiten zu dürfen, ist ein schlimmes Leiden. Menschen von der Arbeit fernzuhalten, ist ein schlimmes Leiden. Das sage ich deshalb, weil im Moment natürlich ein Diskurs da ist, der sagt: Je mehr wir arbeiten, umso dümmer sind wir. Und das ist nicht richtig. Wir müssen wieder anerkennen, dass Arbeit – und zwar unabhängig von der Vergütung –, erst einmal etwas ist, was einen Stolz machen kann, wo man etwas schafft, worauf man voller Stolz schauen kann. Und dass die Anerkennung für Arbeit wieder gewertschätzt werden muss. Dann machen alle anderen für alle anderen Sachen Sinn.
Natürlich gibt es Lebenssituationen, wenn man kleine Kinder kriegt, wo man nicht 60 oder 80 Stunden arbeiten kann, sondern in der Crunchtime des Lebens irgendwie alles zusammenkriegen muss. Den Alltag, die Finanzen sind knapp und die Kinder sind – haben wir auch Zwillinge gekriegt. Und dann plärren die dauernd und das muss man alles, ist ja auch Arbeit und Pflegearbeit. Und die älteren Leute?
Ich will damit nicht sagen: Hüten wir uns vor pauschalen Debatten und sagen: Alle, die nicht 60 Stunden in der Woche arbeiten, sind irgendwie nicht würdige Individuen. Das wäre natürlich falsch. Aber insgesamt zu sehen, dass Arbeit eine Leistung für die Gesellschaft und für sich selber ist, die sich dann auch lohnen muss und die in der Vergütung auch sich widerspiegeln muss, das, glaube ich, ist dringend erforderlich. Jedenfalls wird ein bisschen im Moment zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt bzw. geworben. Und das können wir uns in der Tat im Moment nicht leisten. Wir sind in einer Phase in Deutschland angekommen, wo wir jetzt und sie kennen ja die wirtschaftlichen Daten, wo wir jetzt leider noch halbwegs stagnieren, der Wirtschaft angekommen sind, 700.000 offene Stellen haben – gemeldet, möglicherweise sind es zwei Millionen und wir werden ja älter. Die Perspektive ist deutlich dramatischer.
Man nennt es in der Ökonomie Wachstumspotenzial, also neben der konkreten ökonomischen Situation hohe Energiepreise beispielsweise oder schwacher Welthandel. Guckt man in der Wirtschaft darauf, Was sind die Potenziale des Landes? Und wir haben zwei Probleme beim Wachstumspotenzial: Das eine ist der Zugang zu Finanzen. Der europäische Finanzmarkt ist zu klein für den globalen Wettbewerb. Uwe Petersen hat es eben angesprochen, als er über Investitionsrahmen gesprochen hat, er hat andere Punkte gemeint. Ich skizziere sie noch gleich kurz, weil mir die Zeit jetzt da wegläuft. Aber zu dem Investitionsrahmen gehört auch, dass die Banken für die vielen Projekte, die eigentlich notwendig sind, einen zu kleinen Kreditrahmen haben, gemessen an dem Risiko von Vorschriften, die wir haben. Das heisst, wir brauchen einen grösseren Kapitalmarkt. Das Stichwort ist immer Kapitalmarktunion. Im Grunde heisst es, dass die Banken sich gegenseitig leicht Kredit geben können über die nationalen Grenzen hinaus. Sonst sind wir auch im Kapitalmarkt, in der zur Verfügungstellung von Geld, international nicht wettbewerbsfähig.
Und das Zweite, was das Potenzial, also die Möglichkeit ausbremst, ist in der Tat die Zahl an Händen und Köpfen, das schiere Arbeitsvolumen, das nicht ausreicht. Ich habe schon auf die offenen Stellen hingewiesen, jetzt in dieser schwierigen Lage. Was meinen Sie, was los ist, wenn wir wieder eigentlich auf anderthalb, zwei Prozent Wachstumspfad wären? Das wird die Wachstumsbremse der Zukunft sein, um es auszusprechen, dass das Wachstumspotenzial in Deutschland betrug in den 80er Jahren zwei Prozent. Also unter Vollausschöpfung der Wirtschaft konnten wir jedes Jahr zwei Prozent wachsen. Jetzt mit der Perspektive vor allem des knappen Arbeitsmarktes, sind es 0,5 %. Und deswegen ist das, was ich eben gesagt habe, keine philosophische Abhandlung, sondern alle Leute, die sich beteiligen wollen, müssen sich beteiligen können. Und diejenigen, die noch arbeiten wollen und können, die sollen nicht das Gefühl haben, dass sie die Doofen sind, weil sie länger arbeiten im Leben, als sie eigentlich wollen, sollen oder dürfen oder müssen, sondern dass es gebraucht wird, dass es einen gesellschaftlichen Wert hat, um den zu hebeln. Ein paar Vorschläge: Wir könnten beispielsweise Menschen, die das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben, die werden ja nicht mehr arbeitslos werden und die sind dann ja quasi auch schon in Rente. Die können wir so vergüten, dass die Anteile der Sozialleistungen für Arbeitslosenversicherung oder Rentenversicherung als Lohn ausgezahlt werden. Dann bleibt es immer noch bei der Schutznorm für diejenigen, die kaputt sind nach einem langen Berufsleben. Aber die, die länger arbeiten wollen, kriegen buchstäblich mehr Anreize.
Die Transferentzugs im Sozialsystem, also Bürgergeld, Hartz vier sozusagen, ist so hoch – unabhängig von der Frage, wie hoch das Sozialsystem ist und das sicherlich Raum für Diskussionen – aber es lohnt sich für die Leute nicht, zusätzlich zu arbeiten, wenn man 80 oder 90 Prozent abgeben muss, dann finde ich es besser, die können das Geld behalten und dann können wir das auch noch absenken, meinetwegen von den Transfereinzugsraten. Aber der Anreiz für Arbeit, er muss wieder sozusagen als intrinsischer Faktor stärker eingebaut werden. Ich glaube, das hat Frau Marin gerade gesagt. Und ich will alles dafür tun, dass es umgesetzt wird.
Zwei Sätze noch zu Energie und dann überziehe ich eine Minute, wenn ich das darf. Um vielleicht noch zwei Sätze allgemein zu Mittelstand und zur politischen Situation in Deutschland zu sagen. Erstens: Uwe Petersen kenne ich. Uwe Petersen war der erste E-Mobilfahrer in Schleswig-Holstein, als die Leute das Wort Tesla noch gar nicht schreiben konnten, da hattest du schon ein insofern und zwar gleich eine Tankstelle mitgemacht und parallel eine Wasserstofftankstelle. Also Uwe, herzlichen Glückwunsch! Ein wohl verdienter Preis für echtes Entrepreneurship.
Und in der Tat, du hast Recht, wir brauchen stabile Investitionsbedingungen auch im Energiemarkt. In beide Richtungen: Natürlich einmal, dass die Investition in Klimaneutralität, Technik, Gebäude, Energieeffizienz usw. sich lohnen. Der Rahmen ist der CO2-Preis und ich sage Ihnen, der Rahmen ist fest und wird auch nicht verändert werden. Das heisst, man muss damit rechnen, dass die fossilen Energien in der Perspektive auf 2040, 2045 hin immer teurer werden.
Insofern gibt es eigentlich Investitionsanreize. Man weiss ja, was in den nächsten Jahren kommt. Er wird ausgebremst. Und das ist im Moment natürlich der Mittelpunkt der politischen Debatte. Durch die hohen Energiekosten, die wir noch immer haben in ihren Rechnungen wahrscheinlich, die wir jetzt aber runter kriegen, weil das Geld, das man für Energie ausgibt, kann man ja nicht investieren für zukünftige, für zukünftige Projekte. Die hohen Energiekosten sind, und das sage ich nicht, um mich herauszureden, aber sie sind ausgelöst durch den Wegfall der Hälfte der fossilen Energien, die Deutschland bezogen hat, mehr als die Hälfte des Gases, die Hälfte an Steinkohle und ein Drittel des Öls. Alles kam aus Russland und ist entweder von Putin nicht mehr geliefert worden oder sanktioniert worden. Das kann eine Volkswirtschaft niederreissen. Die Prognosen, dass es, wenn es so kommt, einen wirtschaftlichen Einbruch von -5 bis -10 Prozent geben würde. Die haben Sie alle noch in Erinnerung. Wir sind durch eine schwierige Zeit gegangen, aber es ist nicht so eingebrochen, wie eigentlich prognostiziert.
Natürlich ist Stagnation und schwache Wachstumsraten kein Trost. Ja, ich erwarte da auch nicht, dass man sagt: Ach so, wir haben nur… keine Ahnung… wir haben nur eins auf die Backen gekriegt und nicht noch einen Bauch geboxt. Das fühlt sich ja schon viel besser an! Natürlich tut das weh. Mir auch. Aber ich will es einordnen. Und ich will auch sagen, dass wir und das ist, glaube ich, das, was der malaysische Ministerpräsident Ibrahim gesagt hat, dass wir uns da raus gearbeitet haben.
Am Strommarkt wie am Gasmarkt sind die Preise jetzt auf Vorkriegsniveau angekommen. Bei Gas und bei Elektrizität. Ja, in den Mischkalkulation von Ihnen und in den Haushalten wirken die Preise von 22/23 länger fort. Sie wachsen da erst langsamer raus. Ich wäre froh gewesen, wir hätten sie dämpfen können durch Gas und Strompreisbremse. Aber sie wissen, dass das Geld auf einmal dann nicht mehr da war. Aber wir wachsen da raus. Wo wir ein neues Problem bekommen haben. Und das will ich noch kurz ansprechen, dass Sie sehen, dass wir daran arbeiten, dass es aber auch bearbeitbar ist, wenn wir die Hälfte der Energieversorgung in Monaten ersetzen konnten, dann werden wir auch die anderen Probleme in den Griff bekommen. Das ist der Aufbau der Infrastruktur und der Umlegung der Kosten auf auch die Produktion und die Betriebe.
Wir haben im Moment so hohe Netzentgelte, weil im letzten Jahr die sogenannten Redispatch-Kosten so unglaublich hoch waren. Was sind Redispatch-Kosten? Wir schalten meistens im Norden oder Nordosten Energie ab und müssen die aber bezahlen, denn es ist ja sozusagen ein staatlicher Fehler, dass die Stromnetze noch nicht da sind. Die Infrastruktur ist nicht gebaut wie bei der Bundesbahn. Man hat quasi einen Erstattungsanspruch, dass man das nicht einspeisen kann, es kostet aber Geld. Und im Süden oder Südosten fahren wir Kraftwerke, vergleichsweise teure Gaskraftwerke. In diesem Fall. Und deswegen war es im letzten Jahr so teuer, weil das Gas so teuer war, hoch. Wir hatten im Norden genug Strom und im Süden fehlt uns der. Und beides zusammen macht diese Redispatch-Kosten aus.
Wir müssen die Stromnetze ausbauen. Hätten wir sie ausgebaut. Wir wären im letzten Jahr 4,5 Milliarden günstiger gewesen. Die Netzentgelte werden deutlich geringer. Um sie aber auszubauen, müssen Baggerfahrer bezahlt werden und Material gekauft werden. Und nun bauen wir das Stromnetz, weil der Gesetzgeber vor zehn Jahren 2015 auf die glorreiche gekommen ist, die teuerste mögliche Variante, nämlich Erdverkabelung zu nehmen. Nun bauen wir sie aus und die Kosten laufen auf. Komischerweise ist das nie einem aufgefallen, dass wenn man die Leitungen ausbaut, Kosten entstehen. Das passiert aber in der Tat und wenig verwunderlich. Nun haben wir also folgende Situation: Bauen wir sie nicht aus, entstehen Kosten, bauen wir sie aus, entstehen auch Kosten. Und wenn wir das nicht anders lösen, reissen wir mit dem Hintern ein, was wir gerade mit den Händen aufbauen.
Diese Kosten umzulegen nach der alten Logik – quasi in der Gegenwart umzulegen, wird dafür sorgen, dass die Unternehmen und auch die Verbraucher und Verbraucher durch die Kosten kurzfristig ganz schön abgedrückt werden. Also das wird dann sehr, sehr teuer. Aber der Ausbau ist ja so ungefähr – wie so ein Gebirge. Die nächsten sechs, acht Jahre laufen die Kosten auf, danach steht das Netz und dann amortisiert es sich ein Stück weit.
Und daran arbeiten wir, der Finanzminister und ich, dass wir eine Logik finden, diesen Kostenanstieg nicht jetzt dieser Generation, Ihnen in dieser schwierigen Zeit aufzubürden, sondern ein Modell zu entwickeln, das die Kosten Tragfähigkeit streckt über die Zeit. Denn das Stromnetz brauchen wir ja auch nicht für die Jahre 24 bis 29, sondern für die nächsten 40 Jahre. Das ist Neuland, Deswegen kann ich hier nicht weitergehen. Ich will Ihnen nur versichern, dass das Problem erkannt ist und wie so viele Probleme, die wir erst erkannt haben, auf einem Weg ist, gebannt werden zu können. Ich hoffe, das ist vorsichtig genug. Aber ich bin voller Perspektive oder voller Zuversicht, dass wir da gute Lösungen hinbekommen werden.
Erlauben Sie mir, abschliessend, mit meinem Anfang zu enden.
Der Mittelstand, so heisst es immer quasi wie ein Sprichwort, ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Das stimmt natürlich. Die politische Debatte – und ich räume es ein, auch die, in die ich verwickelt bin – wird dominiert durch die Grossindustrie. Die «Dax-40-Unternehmen», die grossen energieintensiven Industrien, weil dort gleich an einem Unternehmen 10.000 Arbeitsplätze hängen. Oder weil ein Hochofen so massiv wirkt bzw. weil die Kapitalsummen, über die wir reden, so gross sind.
Aber Deutschland lebt vom Mittelstand. Das, was die deutsche Wirtschaft ausmacht, das sind Sie und Ihre Kollegen. Die vielen Familienunternehmen, die standorttreu an Ihrer Stelle die Wertschöpfung dieses Landes hochhalten. Und insofern ist das nicht ganz richtig, meine ich, dass Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist. Es ist auch das Herz und der Puls der deutschen Wirtschaft.
Und wenn der Mittelstand aufhört zu schlagen, dann bleibt das Herz der Wirtschaft und am Ende des Landes stehen. Und wenn der Puls zu schnell läuft, dann ist die Gesundheitsgefahr, der Herzinfarkt sozusagen ebenfalls da.
Wie ist im Mittelstand geht, entscheidet darüber, wie es Deutschland geht, wie es dem Land geht. Und insofern ist Mittelstand, die wissen, wo ich herkomme, manchmal denke ich über Worte nach in dem Begriff: Mitte und Stand, also eine Mitte zu markieren, ein Mittelraum zu markieren und da zu stehen und nicht zu wanken und nicht zu taumeln und nicht umzufallen und nicht wegzulaufen. Eigentlich ja schon ein Begriff, den man gar nicht höher halten kann und höher verstehen kann. Ich habe eben versucht, den Dank der Beispiele, die mir zugerufen wurden, ein bisschen über die Steuerqualitäten des Mittelstandes zu sprechen und was notwendig ist, dass sie einen festen Boden darunter haben und auch welche Aufgabe ist für mich ist, welche Verpflichtung ich fühle, diesen Boden zu bereiten.
Und da, wo er wackelt, da wo er taumelt, nicht aufhören, daran zu arbeiten, dass sie wieder festen Boden unter den Füssen für den Stand haben.
Zwei Sätze noch zur Mitte. Wenn es im Moment ein Problem gibt, das die liberalen Demokratien gefährdet, dann den Verlust von Mass und Mitte. Dass Populismus und Radikalismus genau das gefährden. Und weil der Mittelstand in der Verbindung zu seiner Region, in der Familien, Generationentreue, in der Verbindlichkeit gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sehr wahrscheinlich ganz viele jedenfalls mit Namen und persönlich und über Generationen kennen, eine andere stabilisierende Wirkung auf die Gesellschaft hat als eine Branche, wo hier ein Fehler auf der Tagesordnung steht, stabilisiert der Mittelstand wegen seiner Mittelrolle die Demokratie. Er darf nicht so geschwächt werden, er darf nicht schwach werden, weil das die Demokratie destabilisiert.
Wir haben im Moment zu viele Menschen, die versuchen, diese Mitte auseinanderzureissen. Das, was der Populismus am meisten hasst, ist nicht der andere Populismus. Wenn man ganz weit nach rechts geht, dann kommt man vielleicht links irgendwann wieder raus und umgekehrt. Das, was er am meisten hasst, ist Mass und Mitte.
Ein politischer Diskurs der Vernunft, der Argumente. Die Fähigkeit, die andere Seite zu sehen. Die Kraft, einen Kompromiss einzugehen. Und Kompromiss heisst ja notwendigerweise, dass man sich nicht durchgesetzt hat, sondern vielleicht nur halb durchgesetzt hat, damit man mit dieser Kraft den nächsten Schritt gehen kann. Diese Idee ist die Idee der sozialen Marktwirtschaft, ein Begriff voller Spannung. Es gibt Regionen der Welt, wo der wilde Markt, also Marktwirtschaft, der grenzenlose Kapitalismus regiert.
Und es gibt eine Denkschule, wo das Soziale, die Umverteilung bis hin zum Sozialismus dominiert. Was die Väter der deutschen Ökonomie zusammengebracht haben, ist ein Spannungsverhältnis, quasi den Widerspruch in eine Dynamik zu versetzen. Und diese Dynamik heisst, dass wir von den Polen aus die Mitte stark machen. Deswegen ist Deutschland ein Mittelstandsland und deswegen in für das Land alles Gute für die Zukunft.
Wir arbeiten für den Mittelstand.
Danke schön.
Habeck kann einen Staat nicht von einer Regierung unterscheiden. Ein Staat ist die Gesamtheit der Bevölkerung. Die Bevölkerung kann keine Fehler machen, da sie nicht wie in der Schweiz direkt mitbestimmen kann. Es ist die aktuelle Regierung, die keine Fehler ausläßt. Habeck benimmt sich nur noch wie ein kleiner trotziger Junge!
Ich habe mein Arbeitsleben in einer politiknahen Fachbürokratie verbracht. Das war spannend. Herr Habeck beschreibt die Genese von Bürokratie durchaus sehr richtig. Das hat auch mit unserem feingliedrigen Rechtssystem zu tun. Eine ganze öffentliche und private „Industrie“ lebt davon und hat, wie ich manchmal gehört habe, kein Interesse, „sich selbst arbeitslos zu machen“. Jede Entscheidung muss gerichtsfest sein. Risiken werden jedoch nach unten auf die Arbeitsebene delegiert.
Entwickeln sich immer mehr zur Witzblattfigur.