Letzten Sommer traf ich in Zuoz-Madulain nach ein, zwei Jahren Peter wieder. Wir verabredeten uns auf eine Runde auf diesem Golfplatz, der ein schönes Biest ist: Prachtslandschaft, durchzogen vom Zauber des Engadins, aber gespickt mit mächtigen Bunkern, Wasser, schmalen, oft unebenen Fairways und blind anzuspielenden Greens. Peter war inzwischen sechzig Jahre alt geworden, aber im Gegensatz zu früher spielte er wie ein junger Gott. Er traf alles, wie man so sagt, und wenn er nicht wirklich traf, mündete das nie in einer kleinen oder grossen Katastrophe. Nach dem neunten Loch assen wir im Chalet einen Snack, obwohl mir ein wenig der Appetit vergangen war. Ich fragte Peter, woher das komme, sein neues, elegantes Spiel. Er antwortete: «Ich habe mich von meiner Frau getrennt.»

Ich will damit sagen, dass es in der Komplexität des Golfs zwei wesentliche Mechaniken gibt, die das eigene Spiel beeinflussen, endogene und exogene Faktoren, und sie sind so gelagert, dass sie ineinanderfliessen. Eine Ehefrau etwa ist ein exogener, also von aussen kommender Faktor, der sich jedoch auch endogen, also psychologisch, wenn man so möchte, auswirkt. Erst wenn man dieses Wechselspiel der Einflüsse auf einem gewissen Niveau stabilisiert hat, ist der Raum da für ein tieferes Handicap und gelegentliche Wunderschläge.

Ein Albtraum, geschaffen, um Golfspieler zerstörerisch an den Rand des Wahnsinns zu bringen.

Natürlich ist Golfspielen eine einsame Angelegenheit. Da sind nur das eigene Ich, der Schläger, der Ball und das Ziel. Keiner hilft einem, wenn man dasteht, am Abschlag mit dem Driver, nachdem beim Einspielen die Hälfte aller Schläge einen beschissenen Slice hatten. Wenn man dasteht, 180 Meter bis zum Grün sind es, man den Ballflug träumt und brutal in die Realität geprügelt wird.

 

Ohnmacht und Ausweglosigkeit

Golf ist, auch wenn es auf den ersten Blick seltsam anmuten kann, ein Hindernissport, ganz abgesehen davon, dass es theoretisch natürlich auch eine Präzisionssportart ist. Die drei wesentlichsten Hindernisse, oder auch Handicaps oder Blockaden, sind: Sand, Wasser und man selbst. Und erst wenn man in der Lage ist, all diese Parameter in Einklang zu bringen, wird Präzision überhaupt zum Thema.

Stets scheinen die Schwierigkeiten beim Golf äusserst existenziell. Jeder, der das Gefühl kennt, in einem Bunker zu stehen, der so gross wird, dass die Welt darum herum so verschwindend klein ist, dass sie kaum mehr existiert, der nur noch Sand sieht, so etwas wie einen Kraterrand und darüber nur noch Himmel, weiss um die Tiefen der Einsamkeit und Ohnmacht gegenüber der Ausweglosigkeit von Situationen.

Es nützt nichts, sich zu fragen, weshalb es überhaupt Bunker gibt, diese künstlichen Krater in schönster Umgebung. Es bringt nichts, zu wissen, dass Old Tom Morris Schuld hat. Old Tom Morris (1821–1908), der Erfinder der künstlichen Bunker, Schotte, mit einem Bart, länger, als ein Golfloch tief ist, von griesgrämigem Aussehen, vermutlich war er sadistisch veranlagt. Er war wohl der erste Golfplatzarchitekt der Geschichte, ein Pionier. Seine Geschichte geht so: vom Greenkeeper zum Spieler zum Architekten.

Das 18. Loch des Old Course in St. Andrews ist nach ihm benannt. Es ist ein Par 4, das Fairway wird gerne als das berühmteste der Welt und als ikonisch bezeichnet, weil es vor dem Royal and Ancient Clubhouse liegt. Paradoxerweise ist das 18. Loch bunkerfrei. Man hätte viel besser das 14., das «Long» heisst, weil es das längste Loch auf dem Course ist, nach ihm benannt. Auf dem 14. Loch, hundert Meter vor dem Grün, liegt der gefürchtetste Bunker der Welt: der «Hell Bunker.»

Er ist das Meisterwerk von Old Tom und ein Albtraum, geschaffen, um Golfspieler zerstörerisch an den Rand des Wahnsinns zu bringen; dreissig Meter breit, bis zu drei Meter tief, insgesamt 300 Quadratmeter Fläche. Gross genug, um ihn zu treffen und in ihm ein klein wenig zu sterben. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, ihm aus dem Weg zu gehen. Links am Bunker vorbeizuschlagen, was den Weg zum Green verlängert. Oder den Heldenschlag über ihn zu versuchen.

Severiano Ballesteros nannte den Bunker «die Hölle auf Erden». 1964 landete Jack Nicklaus’ zweiter Schlag nahe an der Kante im Bunker. Vier Schläge brauchte er, um sich befreien zu können, unzählige erhielten sein Selbstbewusstsein, er schrieb eine Neun für dieses Par 5, der Bunker kostete ihn den Sieg, er sagte: «Ich habe den Bunker nie gemocht – und er mochte mich auch nicht.» Für den Rest seines Lebens umspielte er ihn, wie Tiger Woods später das immer so machte.

Vielleicht tröstet es einen, wenn man selbst in einem Bunker feststeckt, in einem persönlichen «Hell Bunker», in dem der Sand magnetisch zu sein scheint. Und man weiss für das nächste Mal, dass die Kunst, sich aus einem Mörderbunker zu befreien, darin liegt, nie in seine Nähe zu kommen.

Dasselbe gilt natürlich für Wasserhindernisse. All die Flüsse, Seen, Teiche und Sümpfe, die natürlich sind oder künstlich und strategisch platziert wurden, um des Golfers Tag absaufen zu lassen. Da kann noch so sehr von Risiko und Belohnung gesprochen werden; das einzige Wasser, das auf dem Golfplatz gute Gefühle fliessen lässt, ist jenes in der Trinkflasche oder das, was im Bier drin steckt.

 

Scheissschlag bleibt Scheissschlag

Wenn Spieler die Wahl haben zwischen Bunker und Wasser, entscheiden sich die meisten für den Bunker. Wohl weil zumindest theoretisch die Möglichkeit besteht, mit einem gelungenen Schlag sein Score nicht zu strapazieren. Beim Wasser ist der Ball weg, der Strafschlag da. Man kann davon ausgehen, dass die geübten Golfer den Bunker wählen, die etwas unsicheren aber das Wasser; lieber ein Strafschlag als ein Armageddon im Bunker.

Wasserhindernisse heissen seit ein paar Jahren Penalty Areas. Das klingt zwar viel brachialer, ist aber ehrlicher, verändert jedoch letztlich nicht allzu viel. Ein Scheissschlag bleibt ein Scheissschlag. Durch die Einführung, das nur am Rand, von Penalty Areas wurden auch andere Hindernisse wie hohes Gras oder diese vermaledeiten Büsche links und rechts des Fairways, dieses inflationäre Lieblingsfolterspielzeug der Platz-Layouter, in einer einzigen Regel zusammengefasst. Alle unspielbaren Zonen sind heute Penalty Areas. Oder, auf Deutsch, Strafzonen.

Golf-Psychologen sagen gerne, dass die Umbenennung zum Vorteil des Golfers oder der Golferin gereiche. Weil eine Strafe weniger gravierend wiege als die Angst vor dem Wasser, und das führe, besonders bei Amateuren, und wer ist das nicht angesichts der verwirrenden Komplexität dieses Sports, zu weniger Nervosität.

Ich bin mir da nicht so sicher. Ich bin immer nervös beim Golfspiel. Die ersten Löcher wenigstens, und wenn die gut laufen, bleibe ich nervös. Nur wenn sie schlecht laufen und ich an den Punkt komme, an dem ich einen Schläger im Wasser ertränken möchte oder ihn im Sand einbuddeln, werde ich cool, und was dann kommt, weiss jeder Golfer: Wenn da nichts mehr ist, was man verlieren kann, geht’s plötzlich wie von selbst.

Man müsste sich selbst so programmieren, dass man vor dem ersten Abschlag jene Ruhe in sich verspürt, die man erst nach miserabel gespielten sieben Löchern und innerer Kapitulation erreicht. Wenn irgendjemand weiss, wie man das schaffen kann, bitte melden.

Das grösste Hindernis im Golf, es ist klar, bleibt man selbst. Das Ich ist ein unberechenbares Etwas, ein launiges Wesen, der beste Freund, der grösste Feind, gelegentlich ein Arschloch. Wer richtig gut golfen möchte, muss nicht die besten aller Schläger in seinem Bag spazieren fahren, er muss sein Ich im Griff haben.

Wenn da nichts mehr ist, was man verlieren kann, geht’s plötzlich wie von selbst.

Vereinfacht gesagt, gibt es auf dem Platz drei Arten von Spielern: die cholerischen, die stoischen und die neurotischen. Der stoische Golfer kommt am elegantesten über den Platz. Wenigstens ist das mein Eindruck. Die cholerischen hauen sich selbst ins Rough, die neurotischen grübeln zu sehr.

Nur wer ausgeglichen, gelassen und weise durch das Leben und über den Golfplatz geht, wer begriffen hat, was ataraxia bedeutet, nämlich Unerschütterlichkeit, wer begriffen hat und somit darauf vorbereitet ist, dass im Leben wie im Golf einfach Scheisse passiert, ist mehr als nur Passagier auf den hindernisreichen Wegen seines Seins.