Deutschland ist im Nazi-Rausch. Nein, nicht Deutschland. Anscheinend sind es gewisse Teile des politischen Establishments, aber die Bevölkerung marschiert. Seit letzter Woche gehen, wie bestellt von linken, zum Teil staatlich finanzierten Kreisen, Zehntausende auf die Strassen, um gegen die angeblichen Stellvertreter Hitlers zu demonstrieren, während die Kriminalstatistiken, im Tagestakt, von Messerattacken auf Deutsche und Ausländer, darunter sogar Kleinkinder, berichten.

Im Parteibetrieb herrscht Blockade. Alle grenzen sich jetzt wechselseitig aus, fast niemand will mehr mit dem anderen regieren. Kanzlerfavorit Friedrich Merz sieht sich plötzlich verbannt aus der «demokratischen Mitte». Linksextreme pöbeln ungehindert gegen die CDU und gegen die AfD, ohne dass sich Lichterketten regen. Deutschland taumelt ins Chaos, rund zwei Wochen vor den Wahlen.

Droht die Bundesrepublik von braunen Horden überrannt zu werden? Ist es wieder einmal so weit? Berlin, das neue Weimar, die «demokratische Mitte» sturmreif geschossen von «Verfassungsfeinden» und im Stich gelassen von den Demokraten? Das ist die Tonspur der Medien, das ist das schrille Gezeter in der Politik. Eben gedachte die Republik der Befreiung von Auschwitz. Die Wogen peitschten besonders hoch.

Als einigermassen Geschichtskundiger ist man geneigt, die weisse Fahne zu hissen: Regt euch ab, ihr Deutschen, entspannt euch! Doch nichts ist gefährlicher, als den Deutschen die Dämonen ihrer Geschichte austreiben zu wollen. Dann fühlen sie sich erst recht gedrängt, sich auf das Entschiedenste zu bezichtigen. Es ist, als finde an dieser AfD ein stellvertretender Exorzismus der Deutschen an sich selber statt.

Ja, die Deutschen misstrauen sich, kein Wunder, bei dieser Geschichte, und deshalb misstrauen sie der AfD. Doch die rechte Protestpartei ist kein «Nazi»-Plagiat. Sie ist das Produkt zweier Krisen aus letzter Zeit, der Euro-Rettung und des Migrationsdebakels. Angela Merkel sei schuld, sagen ihre Gegner. Doch die Diagnose greift zu kurz. Nicht Merkel, der EU und ihren Konstruktionsfehlern verdankt die AfD ihren Erfolg.

Merkel war nur das Gesicht einer Entwicklung, deren Opfer sie im Grunde wurde. Anders als behauptet, hat die Kanzlerin aus dem Osten nie mit der CDU ihres Förderers Helmut Kohl gebrochen. Sie hat sein Erbe weitergeführt, recht stur, eine Politik nur dann im Interesse Deutschlands, wenn das Interesse Deutschlands deckungsgleich war mit dem Interesse Washingtons oder dem Interesse Brüssels.

Merkels Untergang waren die Probleme der EU. Immer deutlicher wurde während ihrer Amtszeit, dass das Brüsseler Konstrukt nicht funktioniert. Man kann nicht die gleiche Währung über so unterschiedliche Volkswirtschaften stülpen wie Deutschland und Italien. Wenn alle für die Aussengrenzen verantwortlich sind und niemand für die eigenen, ergibt sich zwangsläufig ein Migrationschaos.

Merkel sah sich ausserstande, über die EU hinauszudenken, die deutschen Interessen unabhängig von Brüssel zum Leitfaden ihrer Politik zu machen. Auf den Protest der Bevölkerung reagierte sie schroff und überheblich. Das war der Treibstoff für die AfD. Diese gab dem wachsenden Unbehagen, dem brodelnden Überdruss an der sich immer mehr in ihrer Rechthaberei verbunkernden Regierungschefin eine Stimme in der Politik.

Die AfD bringt zwei Befindlichkeiten zusammen: Die eine ist die EU-Skepsis, die andere ist, damit eng damit verzahnt, der Wunsch nach mehr nationaler Autonomie. Letzteres ist der entscheidende Streitpunkt, der Reizfaktor dieser Partei. Sie rührt an ein vor allem im Westen Deutschlands streng bewachtes Tabu: den Nationalstaat, den man längst für überwunden hielt.

Doch weil die EU versagt, kehrt das Nationale zurück, in verträglicher Dosis, doch einige AfDler tun ihren Gegnern den Gefallen, ihr Deutschlandgefühl dermassen übersteuert kundzutun, dass es für Skeptiker wie eine Drohung klingt, wie ein Marschbefehl, Kampfparolen aus den Grüften der Geschichte. Haben alle AfDler die Rauschdroge des Nationalen im Griff?

Da ist viel Missverständnis dabei, gewiss, auch hysterisch hochgespielte Unterstellung. Doch das ist Politik, in Deutschland immer etwas aufgeregter. Dabei ist die AfD die erste wirklich gesamtdeutsche Partei, entstanden im Westen, stark geworden im Osten, jetzt wieder auf den Westen übergreifend, die erste Partei, ein Eigengewächs, der deutschen Einheit, der Wiedervereinigung.

Das macht die AfD so interessant, ja faszinierend. Was nicht heisst, dass man sich als Schweizer diese Partei zu eigen machen muss. Die Deutschen aber tun sich unrecht, wenn sie so sehr auf die AfD einprügeln. Sie könnten auch etwas stolz sein auf diese Neugründung, die es geschafft hat, politische Tabuthemen – Euro, Zuwanderung, Ausländerkriminalität, um nur einige zu nennen – demokratisch aufzugreifen.

Ja, die AfD ist demokratisch einwandfrei legitimiert. Was denn sonst? Sie ist auch nicht «verfassungsfeindlich», ausser man hält den Ruf nach mehr Demokratie, nach direkter Demokratie à la Schweiz für undemokratisch. Die AfD ist eine Partei, die, wie die Grünen, den Deutschen nicht von Alliierten oder den Sowjets nach dem Krieg verordnet wurde, sondern aus dem Volk entstanden ist, von unten, urdemokratisch.

Die AfD steht also auch für eine deutsche Normalisierung, für die Vereinigung der beiden Landesteile: Ost und West mit einem gemeinsamen Programm. Das ist nicht «Dunkeldeutschland», das ist Demokratie. Und die AfD bringt auch das konservative Element in die bürgerliche Parteipolitik zurück, da Merkel die CDU zu sehr vergrünte und nach links verschob. Rechts klaffte eine Lücke.

Nächste Woche empfängt Viktor Orbán, Trumps enger Verbündeter, Ungarns Vorkämpfer der Konservativen in Europa, die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Auch das ist Teil der Normalisierung. Bisher sahen sich die Weidel-Leute von Orbáns «Patrioten für Europa» ausgegrenzt. Doch die Brandmauern fallen. Deutschland, die EU verändern sich, und auch dank der AfD geht die Reise nicht mehr nur nach links.