Kabarettist Vince Ebert verkörpert die erfrischende Gegenstimme im aktuellen Krisenorchester. Sein Blick ist realistisch, aber nicht trübsinnig, seine Aussagen humoristisch, aber fern von Leichtsinn. Vince Ebert, studierter Naturwissenschaftler, nimmt die Krisen unserer Zeit ernst und an, blickt aber optimistisch darüber hinaus — wie es der Titel seines neuen Buchs nicht besser untermalen könnte: «Lichtblick statt Blackout».

Darin befasst sich Ebert, ein 54-jähriger Physiker, mit der Energiekrise. Besser gesagt: mit der gescheiterten, weil illusorischen, ja schöngefärbten Energiewende. Ebert, der zehn Jahre lang das ARD-Format «Wissen vor acht» moderierte, analysiert faktenbasiert, wissenschaftlich, frei von moralisierenden Einflüssen der Apokalyptiker-Klimachöre.

Trübsal ist bei Ebert Fehlanzeige: Trotz den bevorstehenden Herausforderungen – ein Winter mit knapper, teurer Energie – blickt er zuversichtlich in die Zukunft. Wir haben den Wissenschafts-Comedian in Berlin getroffen.

Weltwoche: Herr Ebert, wenn Sie an den Winter denken, wie ist Ihnen da zumute?

Vince Ebert: Gerade wird Satire zur Wirklichkeit: «Das Netz ist der Speicher», «Die Sonne schickt uns keine Rechnung» – das kann ich selbst als Satiriker kaum toppen. Stellen Sie sich vor, das sagen offizielle Politiker. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um als Satiriker ernster zu werden.

Weltwoche: «Zu zweit duschen, um Strom zu sparen»: Das hätte früher auf der Bühne sicher funktioniert.

Ebert: Ganz sicher! Vor zehn Jahren habe ich einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: «Die Hirnabschaltung in Deutschland». Denn als Physiker war mir klar, was für ein Desaster auf uns zukommt. Damals, als die Energiewende beschlossen wurde, haben das nur wenige ernst genommen. Dass die Lage nun so dramatisch ist, hätte aber auch ich nicht gedacht.

Weltwoche: Für wie dramatisch halten Sie die Lage?

Ebert: Wenn ich vor Wissenschaftlern spreche, vor Unternehmern und Mittelständlern, sage ich schon: «Hey, wir müssen aufpassen, dass wir nicht nach unten durchgereicht werden.» Wenn der Strom zu teuer wird oder sogar fehlt, wirkt sich das fundamental auf unsere Wirtschaftskraft und unsere Innovationsfähigkeit aus. Das bereitet mir Sorgen.

Weltwoche: Wo genau liegt das Problem?

Ebert: Wir Deutsche sind eigentlich Tüftler. Die Ingenieurskunst ist genial, made in Germany weltberühmt. Andererseits sind wir Romantiker: 19. Jahrhundert, die Natur wurde beseelt. In den letzten Jahren sind wir wieder zu sehr ins Romantische gekippt. Heisst, durch diesen unglaublichen Wohlstand, den wir geschaffen haben, wuchs die Naivität, das Wunschdenken wurde überproportional gross, dass wir uns gar nicht mehr die Mühe machen, sie mit der Realität abzugleichen. Dabei ist es trivial, dass die Energiewende, so wie wir sie aufgegleist haben, nicht funktionieren kann – unsere Energiespeichersysteme und Pumpspeicherkraftwerke reichen für vierzig Minuten Strom. Lediglich mit Wind und Sonne gehen uns dann die Lichter aus. Nur hiess es bisher immer: Ja, ja, so schlimm wird’s ja wohl nicht kommen. Und jetzt haben wir den Salat.

«Man ist durch den Ausstieg vom Dach gesprungen und hoffte, bis zur Landung fliegen zu lernen.»

Weltwoche: Viele schieben die Misere auf den Ukraine-Krieg, mit Putin als Übeltäter. Ist es so einfach? Wie sehen Sie das?

Ebert: Der Krieg war nur Katalysator, nicht Auslöser. Die Fehler passierten vor zehn Jahren. Was wir seither energiepolitisch tun, führt dazu, dass das ganze Energiesystem fragiler wird. Irgendwann braucht’s nur einen kleinen Anstoss, und das Kartenhaus fällt zusammen. Wäre das nicht der Ukraine-Krieg gewesen, hätte ein anderes Ereignis dazu geführt. Im Finanzmanagement sagt Ihnen jeder Investment-Berater, man solle das Portfolio breit streuen, Risiken vermeiden, diversifizieren. Wir fahren aber seit Jahren auf eine Einbahnstrasse zu, wir schalten Atomkraftwerke ab, wollen auf Kohle verzichten, und der einzige Back-up, den wir anstreben, ist Gas — das wir importieren. Diese Abhängigkeit fällt uns jetzt komplett auf die Füsse.

Weltwoche: Wie beurteilen Sie die Sanktionen gegen Russland?

Ebert: Da muss ich passen. Als Naturwissenschaftler kann ich das politisch-ökonomisch nicht beurteilen.

Weltwoche: . . . und aus energiepolitischer Sicht?

Ebert: Da ist es schon absurd! Dass Herr Habeck und Herr Scholz unlängst auf der ganzen Welt unterwegs waren, um Gas zu erbetteln, teilweise in Länder reisten, in denen Homosexuelle an Baukränen aufhängt und Frauen wie Haustiere behandeln werden.

Weltwoche: Doppelmoral.

Ebert: Der Punkt ist: Wir hätten mit Fracking-Gas eine Möglichkeit, um uns zu versorgen. Deutschland hat ein Schiefergasvorkommen, das für mehr als dreissig Jahre reichen würde. Es gäbe also technische Möglichkeiten, um das gegenwärtige Problem zu puffern. Nur sehen wir Fracking als Risikotechnologie an. Schade!

Weltwoche: Könnte Fracking Europa retten?

Ebert: «Retten» ist ein grosses Wort. Zumindest wäre es eine von vielen technologischen Möglichkeiten, um unabhängiger zu werden. In meinem Buch lege ich dar, dass die Methoden inzwischen deutlich umweltschonender sind als früher. Es wird sogar an «Clean Fracking» geforscht, das ganz auf Chemikalien verzichten soll. Wissenschaftlich sind das tolle Möglichkeiten, aber die Politik lehnt sie aus ideologischen Gründen ab. Und das, obwohl es aus diesen Kreisen ja immer heisst: «Follow the science.»

Weltwoche: Wie lautet Ihr Gebot der Stunde für den Ukraine-Krieg?

«Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um als Satiriker ernster zu werden.»

Ebert: Wenn wir nicht dauerhaft in einen Energiemangel rutschen wollen, führt nichts daran vorbei, die drei Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, auf unbestimmte Zeit. Ich bin sogar der Meinung, wir sollten die drei bereits stillgelegten reaktivieren, technisch wäre das möglich, das würde Druck vom Kessel nehmen. Aber auch das wird aus ideologischen Gründen nicht gemacht, leider. Dann bräuchte es in den nächsten fünf, zehn Jahren ein vollständiges Umdenken bezüglich unseres Energiehaushalts. Ich bin nicht per se gegen Erneuerbare, aber wir müssen begreifen, dass es nach derzeitigem Stand der Technik unmöglich ist, eine Industrienation komplett ökologisch zu transformieren.

Weltwoche: Wer ist für die Energiekrise eigentlich verantwortlich?

Ebert: Auslöser war sicher der überhastete Atomausstieg von Frau Merkel, praktisch im Alleingang. Jetzt ist es aber zu einfach, zu sagen: Frau Merkel ist der Dämon. Sie entschied zwar, aber fast alle im Parlament haben mitgemacht. Aus der Opposition, aus der FDP, kam kein Veto, auch der Bundespräsident hat sich nicht eingeschaltet, keine Debatte, nichts.

Weltwoche: Worin liegt der grosse Irrtum des Atomausstiegs? Wo sehen Sie den Denkfehler der Energiewende?

Ebert: Dass es auf einer physikalischen und technischen Ebene nicht funktionieren kann. Man ist durch den Ausstieg vom Dach gesprungen und hoffte, bis zur Landung fliegen zu lernen. Unter vier Augen war das vielen Protagonisten auch klar. Öffentlich Stellung zu beziehen, war ihnen dann offenbar zu riskant. Eine Mischung aus Mitläufertum, Gruppendruck und der Angst, in eine dubiose Ecke gestellt zu werden. Dazu kommt dieser deutsche Drang, die Welt retten und als die Guten dastehen zu wollen. Das ist fatal, weil es eine Utopie ist. Und jede Utopie hat bis zum heutigen Zeitpunkt das Gegenteil dessen erreicht, was sie sollte. >>>

Weltwoche: Wenn Sie oberster Berater der Bundesregierung wären . . .

Ebert: Ach Gott!

Weltwoche: Wie lautete Ihr Plan, um ein Industrieland wie Deutschland mit genügend Energie zu versorgen?

Ebert: Kurzfristig, klar, die Stilllegung und Abschaltung von Kernenergie sofort rückgängig machen. So. Aber mittelfristig müssen wir technologieoffener werden. Und zwar in allen – auch den unerwünschten – Bereichen. Mein Lieblingsbeispiel ist eine Forschungsgruppe aus Berlin, die hat einen Dual-Fluid-Reaktor entwickelt, der zwar noch nicht marktreif ist, aber ein sogenannter Kernreaktor der vierten Generation. Die laufen mit Atommüll. Das heisst, wir könnten unseren radioaktiven Abfall verwerten. Das Endprodukt würde so wenig strahlen, dass wir kein Endlager bräuchten, man könnte die Dinger in Serie bauen – klein, kompakt, billig, etwa von der Grösse eines LKW, mit denen man eine Stadt mit 100 000 Einwohnern mit Strom versorgen kann. Diese Technologie steht kurz vor der Kommerzialisierung. Deutschland könnte in die ganze Welt verkaufen – aber, Sie ahnen es, genau dieses Know-how wandert ab. Die Berliner Dual Fluid Inc. ist mittlerweile ein kanadisches Unternehmen. So was schmerzt mich als deutscher Naturwissenschaftler.

Weltwoche: Gutes Stichwort: Welchen Einfluss hat die Migration auf die Energiekrise?

Ebert: Bei dem Thema denkt jeder sofort an Menschen, die aus schlecht in hochentwickelte Länder einwandern. In Deutschland haben wir inzwischen das Problem, dass es einen massiven Braindrain ins Ausland gibt. Unsere genialen Leute – Wissenschaftler, Ingenieure, Facharbeiter – wandern ab. Weg! Wir reden von etwa 180 000 Hochqualifizierten pro Jahr, die ins Ausland abwandern, übrigens auch in die Schweiz. Für ein Land, das praktisch keine Rohstoffe hat, ist das verhängnisvoll.

«Ein ‹Zurück zur Natur› bedeutet eben auch Hungersnöte, Beulenpest und Hämorrhoiden.»

Weltwoche: Sechzig bis 70 Prozent der Bevölkerung befürworten aktuell Atomstrom. Jene könnten, wenn sie die Energiepolitik als oberste Priorität ansehen, eigentlich nur die AfD wählen, um nicht enttäuscht zu werden. Richtig?

Ebert: Es ist ein grosses Drama, dass sämtliche etablierten Parteien die Kritik an der Energiewende tabuisiert und sogar als moralisch verwerflich stigmatisiert haben. Damit hat man bei vielen Bürgern genau das Gegenteil erreicht: kompletten Widerstand und Vertrauensverlust in demokratische Prozesse. So treibt man die Menschen in extreme Richtungen und Flügel. Wir brauchen daher wieder eine offene Debattenkultur, denn sonst werden sich immer mehr aus Protest abwenden und irgendwelchen Scharlatanen hinterherlaufen.

Weltwoche: Sie schreiben in Ihrem Buch: «Richtiges wird nicht falsch, nur weil es vom Falschen gesagt wird.» In Deutschland ist es umgekehrt: Falsches wird richtig, nur weil es vom Guten gesagt wird.

Ebert: Ja, so scheint es.

Weltwoche: Warum ist das so?

Ebert: Weil das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, so angenehm ist. Und weil es bisher irgendwie ja noch funktioniert hat. Das menschliche Gehirn ist sehr gut darin, sich in die eigene Tasche zu lügen. Deswegen glauben selbst viele gebildete Menschen an kostenlose Energie, an das Ende von Gier und an ein romantisches «Zurück zur Natur». Ohne zu bedenken, dass ein «Zurück zur Natur» eben auch Hungersnöte, Beulenpest und Hämorrhoiden bedeutet.

Weltwoche: Politiker warnen vor dem Blackout. Ist das ein Szenario, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen?

Ebert: Hier kommt meine positive Nachricht: Das deutsche und das europäische Stromnetz werden extrem gut gewartet. Da arbeiten ein paar tausend fähige Fachkräfte, die mit aller Kraft versuchen, die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. Ein Riesen-Job, Chapeau! Doch Vorsicht: Wenn wir im Winter in eine Energiemangellage rutschen, werden gewisse Industrien sukzessive runtergefahren. Es läuft also auf einen brownout hinaus, was im Umkehrschluss heisst: Die Basisenergie ist gesichert. Die grossen Energiefresser – Aluminiumhütten, Stahlbetriebe, Papierfabriken – werden in diesen Phasen allerdings abgeschaltet.

Weltwoche: Wenn Energie knapp wird, steigen die Preise. Wann reisst der Geduldsfaden in der Bevölkerung?

Ebert: Mir scheint die Toleranzgrenze absurderweise sehr, sehr hoch. Aber ohne ein vollständig ausgefülltes behördliches Formblatt gehen viele Deutsche eben nicht auf die Strasse. (Lacht) Wenn allerdings die Energiepreise noch höher steigen, so dass es die Leute wirklich spüren, nicht nur die ärmeren, sondern auch der Mittelstand, dann weiss ich nicht, was passiert.

Weltwoche: Im Osten demonstrieren bereits Tausende.

«Von einem Point of no Return oder einem ‹Mad Max›-Szenario ist im Weltklimabericht nicht die Rede.»

Ebert: Ich weiss, ich weiss. Ich beobachte aber eher die unternehmerischen Schicksale, da stehen viele vor der Entscheidung: Werk schliessen oder ins Ausland abziehen.

Weltwoche: Aber wenn sich die Preisspirale weiterdreht, knallt’s irgendwann.

Ebert: Günstige Energie ist das Schmiermittel für sozialen Zusammenhalt. Wird Energie zu teuer, sinkt die Wirtschaftsleistung, die Sozialleistungen können nicht mehr bezahlt werden und irgendwann kommt es zu Verwerfungen. Diese hohen Energiepreise sind ein Pulverfass. Das Prekäre ist, es sind nicht einfach mal eben ein paar Arbeitsplätze betroffen. Das geht in allen Bereichen an die Substanz. Viele, die die DDR noch erlebt haben, wissen, wie das aussieht, wenn ein Staat pleite geht.

Weltwoche: Ein Wort zu den Medien: Die warnen vor «Umweltkatastrophen» und «Klimanotstand». Was reizt Journalisten an der Apokalypse?

Ebert: Es geht in die gleiche Richtung wie: Warum schauen wir Katastrophenfilme? Kuschelig, mit einem Glas Wein in der Hand. Das Gruseln fasziniert. Es ist wie bei einem Verkehrsunfall, da kann man auch nicht wegschauen. Und natürlich kann man sich über dieses Thema auch definieren. In meinem Buch schreibe ich ganz klar, dass der menschengemachte Klimawandel wissenschaftlich unbestritten ist. Allerdings steht im Weltklimabericht kein Wort von «Apokalypse», «Katastrophe», «Untergang». Die Berichte beschreiben in sachlichem Ton, dass der Klimawandel natürlich negative Auswirkungen haben wird, aber von einem Point of no Return oder einem «Mad Max»-Szenario ist dort nicht die Rede.

Weltwoche: Rücken Sie das Bild gerade: Wie schlimm steht es wirklich um unseren Planeten?

Ebert: Viele denken, der Klimawandel ist wie ein Meteorit, der auf die Erde zufliegt, und dann, wenn er einschlägt, ist alles vorbei. Wenn man diese Weltklimaberichte intensiv liest, ist der Klimawandel eher wie eine chronische Erkrankung. Wie Diabetes zum Beispiel. Diese muss man natürlich behandeln, aber damit kann man leben, wenn man sich anpasst. Es bedeutet nicht das Ende der Welt.

Weltwoche: Zu Ihnen: Sie moderierten bis im März die ARD-Sendung «Wissen vor acht». Wie haben Sie sich, als Kritiker der Energiewende, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verstanden gefühlt?

Ebert: Die Wissenschaftskommunikation hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Fakten vermischten sich mehr und mehr mit Appellen und Weltanschauungen. Wenn Sie sich heute eine Wissenschaftssendung anschauen, finden Sie kaum einen Moderator, der objektiv und wertfrei über ein Phänomen spricht. Ständig ist eine Meinung, eine Warnung darin verpackt, eine gesellschaftspolitische Message: «Der Kollaps ist nah’», «Wir müssen umsteuern!» — so was. Das ist per se nicht zu verurteilen, aber ich wünsche mir eine klarere Trennung zwischen Fakten und Meinungen. Grundsätzlich geht es ja in der Wissenschaft nicht um Meinungen. Wissenschaft erklärt, wie bestimmte Zusammenhänge funktionieren. In der Kernphysik können Sie ausrechnen, wie viel Energie bei einer Kernspaltung freigesetzt wird. Es geht nicht darum, zu sagen, ob Kernenergie gut oder schlecht ist.

Weltwoche: Wie reagierte Ihr Umfeld, die Zuschauer, wenn Sie unliebsame Fakten angesprochen haben?

Ebert: Wenn ich zum Beispiel aufzeige, dass Kernenergie die Energieform ist, die bisher am wenigsten Todesopfer gefordert hat,dann stutzen schon einige. Ich versuche jedoch, mein Publikum nicht zu missionieren. Es geht mir darum, verblüffende, seriös recherchierte Zusammenhänge aufzuzeigen, auf deren Basis die Leute ihr eigenes Weltbild auf Stichhaltigkeit überprüfen können. Viele schätzen das und sagen: «Mensch, wenn ich zum Ebert geh’, kriege ich Fakten, über die ich sonst nie nachgedacht habe.» Das ist für mich ein Kompliment, das ist, was ich will: zum Nachdenken anregen. Mehr nicht. Ich habe die Wahrheit schliesslich auch nicht gepachtet. Zuzugeben, dass man sich täuschen kann, ist die Grundlage von Wissenschaft und nicht zuletzt: Der Kern einer aufgeklärten Gesellschaft. Die Erkenntnis, dass Wissen immer unvollständig ist.

Weltwoche: Warum glauben Sie trotz allem an Deutschland?

Ebert: Weil es eine unfassbar grosse, schweigende Mehrheit gibt, die spürt, dass es so nicht weitergehen kann, die unter der politischen Lähmung leidet, die gerne mehr machen würde, die sich in ihrer Kreativität unterdrückt fühlt. Meine grosse Hoffnung ist, dass diese Beklemmung irgendwann entfesselt wird. Denn wenn man die Leute machen lässt, die akribischen Tüftler und Ingenieure, dann haben wir ein Riesenpotenzial. Das ist genau das, was mich schmerzt: Wir könnten es! Aber die Politik muss die Leute auch machen lassen.

Weltwoche: Als Naturwissenschaftler, aber auch Komiker: Ihre wichtigste Botschaft für Deutschland?

Ebert: Legt eure ideologischen Scheuklappen ab. Das tut auch nicht weh.

Weltwoche: Was wissen Sie über die Schweiz?

Ebert: Die Diskussionen sind ähnlich, die grüne Bewegung ist gross, die Probleme mit der Energiewende sind die gleichen. Viele Jahre in Wohlstand haben dazu geführt, dass man mit grosser Naivität grundlegende Dinge wie Strom oder die warme Dusche als selbstverständlich ansieht. Ich glaube aber, dass eure kleinen Strukturen, das politische System mit den Volksentscheiden, ein Vorteil sind. Für mich ist die Schweiz, wenn ich mir eine Demokratie wünschen könnte, ein Musterbeispiel. Wenn ich mir ein Modell wünschen könnte, sehe ich die Schweiz nahe dran.

Weltwoche: Wäre das Schweizer System in Deutschland möglich? Muss Deutschland verschweizern?

Ebert: Natürlich wäre das möglich! Ich fände das wünschenswert, weil es die Leute zu mehr Selbst- und Eigenverantwortung befähigen würde. Die Deutschen meckern zwar ständig über die Politik, sagen dann aber trotzdem bei jedem noch so kleinen Problem: Die Politik muss da jetzt was tun – statt selber anzupacken. Es wird immer sofort die Verantwortung abgeschoben. Wir begeben uns damit wie kleine Kinder freiwillig in eine Abhängigkeit von einer Gruppe von Menschen, die dann, seien wir ehrlich, völlig überfordert ist mit den, zugegeben, komplexen Herausforderungen. Wir bürden unseren Politikern eine Verantwortung auf, die sie gar nicht übernehmen können. Wir brauchen daher mehr Mut zur Selbstverantwortung.

 

Vince Eberts neues Buch «Lichtblick statt Blackout» erschien im September beim DTV. 224 S., Fr. 24.90.