Die Bluttat von Solingen sendet Schockwellen auch in die Schweiz. Politiker zeigen sich bestürzt. Medien fordern Massnahmen. Die Ratlosigkeit ist gross. Wieder mal gibt der Islam Rätsel auf. Wie viele Radikale leben schon hier? Wie viele lassen sie noch rein? Breitet sich das Krebsgeschwür dieses militanten religiösen Fanatismus bei uns, in Deutschland, in Europa ungehindert immer weiter aus?

Ich erinnere mich an ein Mittagessen mit einem Bekannten aus Ungarn. Für ihn war der Zug schon abgefahren. Die EU, zu viele Staaten in Europa hätten die Islamisierung einfach geschehen lassen. Der Punkt ohne Rückkehr sei längst erreicht. «Feindliche Übernahme», so lautete der Buchtitel eines der zahllosen Bestseller von Weltwoche-Kolumnist Thilo Sarrazin. Ist Europa, Kalifat des Verbrechens, schon verloren?

In unserer kurvenreichen Geschichte ist ja eigentlich nichts mehr auszuschliessen. Trotzdem regt sich in meinem Grosshirn Skepsis angesichts der wohlbegründeten trübseligen Befunde. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Taten wie jene von Solingen am Ende immer mehr Menschen, Journalisten, Politikern die Augen öffnen, ihnen die Hemmungen nehmen, endlich die Wirklichkeit nicht länger zu verdrängen.

So makaber es klingen mag: Es ist keine Überraschung, dass uns die ungezügelte Zuwanderung der letzten Jahre mehr Unsicherheit, mehr Kriminalität und weniger Wohlstand bescherte. Seit Jahren warnen vor allem bürgerliche, rechte Kreise vor den Gefahren der Multikulti-Politik der offenen Grenzen. Sie sahen sich ausgelacht, kritisiert, verleumdet als «Rassisten» oder «Nazis».

Doch weder ist man «Rassist» noch «Nazi», wenn man den behördlich tolerierten Missbrauch des Asylrechts kritisiert. Der finstere Moralismus unserer Medien, die nicht mehr gewillt scheinen, realitätsbezogene Lagebeurteilungen vorzunehmen, sondern lieber im Schwarzweiss von «gut» und «böse» schwelgen, hat einen grossen Anteil an der Kultur der Problembeschönigung, die sich bei uns im Migrationswesen ausbreitete.

Alles Gute, was der Mensch zustande bringt, geht an seiner Übertreibung zugrunde.

Alles Gute, was der Mensch zustande bringt, geht an seiner Übertreibung zugrunde. Der ursprüngliche Impuls, den Flüchtlingen und Migranten zu helfen, die aus den oft durch Nato-Bomben verwüsteten Kriegsgebieten kamen, hatte etwas Nobles, Anerkennenswertes. Doch wer unbesehen die Grenzen für fast alle öffnet, muss sich nicht wundern, wenn auch Leute kommen, die nichts bei uns zu suchen haben.

Wie weiter? Der Umgang mit dem militanten Islam fordert keine Hysterie, auch keinen Polizeistaat. Gefragt ist: heroische Gelassenheit. Dem verführerischen Rausch von Kulturkämpfen, Kreuzzügen dürfen wir uns nicht ausliefern. Pauschale Angriffe gegen die Weltreligion von 1,9 Milliarden Muslimen verbieten sich. Sie sind auch unfair, weil unter den Islamisten nicht zuletzt die Islamgläubigen leiden.

Auch auf neue Gesetze können wir verzichten. Es würde reichen, die bestehenden zu befolgen. Die Schweiz kennt, wie Deutschland, ein trennscharfes Asylrecht. Daran hat man sich zu halten: Asyl für alle, die persönlich an Leib und Leben bedroht sind; Schutz auf Zeit für Kriegsvertriebene, auch im sicheren Ausland; keine Aufnahme, kein Asyl für die überwiegende Mehrheit, für Wirtschaftsmigranten und Kriminaltouristen.

«Wir schaffen das»: Kein Satz veranschaulicht besser den Geist des Grössenwahns und der Verblendung, der die europäische Asylpolitik der letzten Jahre kennzeichnet. Ex-Kanzlerin Angela Merkel gebührt das Verdienst, den Unsinn ausgesprochen zu haben, den auch andere praktizierten. Man rief Flüchtlinge, und es kamen Menschen, Fremde aus ganz anderen Kulturen, die sich nicht umtopfen lassen wie Zimmerpflanzen.

Natürlich ist es ein Skandal. Offensichtlich müssen zuerst immer Menschen sterben, Katastrophen passieren oder Kriege, bevor sich etwas ändert. Die grössten Dummheiten macht der Mensch immer dann, wenn es ihm zu gut geht. «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Folge von guten Tagen», schrieb Goethe. Stimmt. Atomausstieg, offene Grenzen, Klimawahn: Sumpfblüten einer fremdfinanzierten Wohlstandsphase.

Nichts von dem, was ich hier schreibe, soll die Blutnacht von Solingen verharmlosen oder gar rechtfertigen. Allerdings sind wir Bürger, auch in der Schweiz, am Ende selber verantwortlich für die Migrationspolitik der von uns gewählten Parteien. Demokratie bietet die Chance für den gewaltlosen Richtungswechsel. Jetzt können wir die richtigen Lehren aus den Missständen ziehen, in die wir uns haben treiben lassen.

Es heisst, die illegale Massenzuwanderung sei die Mutter aller Probleme. Mag sein. Aber auch das Umgekehrte wäre wahr: Die Lösung des Migrationsproblems ist die Mutter aller Lösungen für die anderen Probleme. Öffentliche Sicherheit, überforderte Schulen, strapazierte Sozialwerke, auch der vielzitierte Fremdenhass: Kehrten wir zu einer massvollen, geregelten Zuwanderung zurück, verschwänden viele Missstände.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Verbrechen wie das von Solingen jene am Ende heilsamen Erschütterungen und Schocks auslösen, jenen Erdrutsch, den der Mensch leider immer wieder braucht, um sich von seinen Illusionen zu befreien. Wieder einmal starren wir in den Abgrund unserer eigenen, falschen Politik. Menschen werden nur aus Schaden klug. Immerhin dies.