Als Aktivist darf man es Politik und Gesellschaft nicht so leicht machen, schon klar. Provokation gehört zur Performance, sonst schaut ja keiner hin. Für Klimaaktivisten ist der bewährte Weg zwecks Sicherung von Aufmerksamkeit darum aktuell die Aneignung von Strassen und Kunstwerken. Als Protest gegen CO2-Ausstoss, gegen die Vergabe neuer Öllizenzen, für ein Ende der Öl- und Gasförderung, gegen die angebliche Untätigkeit von Staat und Unternehmen und allen anderen, den Klimaschutz voranzutreiben.

In Potsdam bewarfen Aktivisten ein Monet-Gemälde mit Kartoffelbrei, in London Vincent van Goghs «Sonnenblumen» mit Tomatensuppe. In Den Haag klebte ein Aktivist seinen Kopf an ein Gemälde – wäre lustig, wenn er noch immer dran wäre. In Wolfsburg klebten sich Klimaaktivisten mit Händen und Füssen in einem Porsche-Showroom fest, in Zürich auf der Strasse. Die Gruppe «Renovate Switzerland» fordert auf Twitter vom Bundesrat «die Ausbildung von 100 000 neuen Personen in der thermischen Gebäudesanierung».

Auch in Berlin klebten sie sich auf die Fahrbahn und blockierten den Verkehr so kompromisslos, dass ein Spezialfahrzeug, das eine Velofahrerin bergen musste, im Stau feststeckte und die Rettung verzögerte. Laut Medienberichten schwebt die Frau in Lebensgefahr, sie war von einem Betonmischer überrollt worden.

Vielleicht sollte man ihnen den positiv besetzten Begriff «Aktivisten» aberkennen. Wäre «Chaoten» treffender? Jemanden, der aus Überzeugung iPhones im Store klaut, weil er es okay findet, Konzerne zu bestehlen, nennen wir ja auch nicht Aktivist, sondern Dieb. Mit ihrer Allergie gegen allgemeingültige Regeln, die das friedliche Zusammenleben aller in der Gesellschaft sichern, und mit der Haltung «Was ich richtig finde, erzwinge ich eben, und die Unannehmlichkeiten aller anderen sind mir egal» demonstrieren die Protestwilligen Respektlosigkeit im Doppelpack, gegenüber fremdem Eigentum und auch gegenüber Mitmenschen und deren Lebensalltag. Auch die Lebensmittel liessen sich besser verwenden. Vielleicht wurde das Gemälde diesmal nicht beschädigt, nur der Rahmen. Vielleicht hat ja keiner der Verkehrsteilnehmer ein Bewerbungsgespräch verpasst oder den Geburtstermin seines Kindes. Vielleicht hat es die verunglückte Velofahrerin noch rechtzeitig ins Spital geschafft. Wir können es nur hoffen und ihr alles Gute wünschen.

Es finden sich natürlich immer jene, die die Shows rechtfertigen und der Kritik daran entgegnen: «Kann es sein, dass wir mehr über Leute reden, die irgendetwas auf Bilder kippen – als über den Klimawandel?», twitterte ein ARD-Journalist. Wir sprechen noch nicht genügend übers Klima? So weit entfernt kann ein Paralleluniversum doch gar nicht liegen. Der Klimawandel ist ein Dauerthema. Gibt man den Begriff bei Google ein, erhält man 86 500 000 Ergebnisse. Und auch wenn ich mich noch so sehr anstrenge, ich kann nicht erkennen, dass den Leuten das Klima egal wäre.

Vielen ist es das jedenfalls nicht. Ich sehe vor allem Menschen, die ihre Glas- und PET-Flaschen am Wochenende zur Entsorgung bringen. Die versuchen, weniger Abfall zu produzieren, die beim lokalen Bauern einkaufen oder, wenn sie es sich leisten können, im Supermarkt Produkte mit Nachhaltigkeitssiegel. Die vermehrt den Zug nehmen. Sich Gedanken machen über weniger Strom- und Energieverbrauch. Die, jeder für sich, ihren kleinen Beitrag leisten. Es gibt kaum Unternehmen oder Regierungen in unseren Breitengraden, die sich nicht an der Lösungssuche für eine ökonomische, nachhaltige Zukunft beteiligen. Nur hört man von den vielen kleineren Firmen, die neue Produkte zum Klimaschutz auf den Markt bringen, halt wenig.

Die Welt braucht Aktivisten, um Umdenken und Veränderungen herbeizuführen. Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte, wo Aktivismus die Welt ein Stück zum Besseren verändert hat. Ich kann mir vorstellen, dass sie das Bekleckern von Gemälden mit Suppe als ein Indiz ihres Erfolges betrachten. Aber mehr als ein zeitgenössisches, beklopptes Spektakel, aus dem man moralische Befriedigung zieht, ist es dann eben doch nicht. Denn wer überzeugt ist, die Welt zu retten, indem er Vandalismus betreibt oder im Weg herumsteht, wer also die ganze Energie darauf richtet, andere Menschen verrückt zu machen, ändert damit konkret nichts zum Positiven.

Man darf davon ausgehen, dass jene Zeitgenossen, die ihren Lebensstil bisher noch nicht hinterfragt haben, es auch nicht tun werden, nur weil Suppe von einem van Gogh tropft. Oder Firmen, die den Klimaschutz nicht ernst nehmen, werden nicht plötzlich den Bedarf neuer Smartphones oder Computer drastisch senken, weil irgendwo Leute im Stau stecken. Umgekehrt aber dürften sich so manche in ihrer Meinung bestätigt sehen, dass Klimaaktivisten radikale Selbstdarsteller sind.

Was die Forderung an den Bundesrat und die Ausbildung von 100 000 Personen in der thermischen Gebäudesanierung angeht, wäre mein Vorschlag an die Klima-Kleber, mal eine Zeit lang auf dem Bau zu arbeiten. Auf diese Art könnten sie selbst lernen, wie man Gebäude saniert, anstatt es von anderen zu verlangen. Möglicherweise käme das dem Klima mehr zugute als bekleckerte Bilder und ein Aktivismus, der alle nervt.