Boris Johnson: Unleashed. Harper Collins. 771 S., Fr. 54.90

Ein Moderator des BBC-Radios fragte dieser Tage eine Journalistenrunde, ob Boris Johnson ein politisches Comeback vergönnt sei. Die Antworten waren unisono zustimmend. Mit dem Mann ist also weiterhin zu rechnen. Genauso sieht er das selbst. Zumindest bekommt man diesen Eindruck bei der Lektüre seiner Autobiografie «Unleashed» («Entfesselt»). Das verrät bereits der Klappentext: «Boris war immer grösser als das Leben selbst.» Allerdings nicht ganz immer. Er musste im September 2022 nach nur drei Jahren als Regierungschef unfreiwillig zurücktreten, weil er sich während der Pandemie nicht an die Lockdown-Regeln gehalten hatte, die seine Regierung selbst erlassen hatte. Diese Niederlage gesteht er ein, und das macht den Kerl trotz allem sympathisch: «Ich war zeitweise selbstgerecht und arrogant, habe viele Fehler gemacht . . .», resümiert er.

 

Lästern über die Macrons

Ansonsten teilt er in gewohnter Art und Weise aus, besonders wenn er gegen die EU vom Leder zieht: «Staatspräsident Macron, Kanzlerin Merkel und Co. rasteten aus [. . .], als sie merkten, dass der Brexit erfolgreich sein könnte.» Im Stil eines Krimis beschreibt Johnson, wie er und ein General erwogen, mit einem Militärkommando Covid-Impfdosen in Amsterdam zu klauen und «nach Hause» zu bringen, weil die EU sie unrechtmässig zurückbehalten hatte. Johnson liess den Plan fallen. Wahrscheinlich wäre der Schaden indes gering geblieben, hätte er den Raid ausgeführt. Denn zu jenem Zeitpunkt waren die Beziehungen zwischen Grossbritannien und Brüssel laut Johnson bereits auf einem Tiefpunkt angelangt: «Ich erkannte, der einzig gute Deal mit der EU war gar kein Deal.»

Laut Johnson lag das vor allem an der EU. Köstlich, wie er seinen ersten Besuch in Brüssel beschreibt. Zuerst trifft er sich mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, mit der er fast ins Flirten kommt. Im ganzen Buch verliert er kaum ein böses Wort über sie. Nach diesem Beschnuppern hat der heutige französische Ministerpräsident Michel Barnier seinen Auftritt, der damalige EU-Chefunterhändler in den Brexit-Verhandlungen: «Abweisend, unnahbar und misstrauisch» sei dieser Mann, schreibt Johnson. Gleich von Beginn an sei ihm klargeworden, dass mit Barnier an keine Übereinkunft mit der EU zu denken war: «Er wollte uns bestrafen.» Der Franzose habe seine «feinen Gesichtszüge gleich zu einer Schnute verzogen», als Johnson auf einem freien Marktzugang zur EU bestand – und sich nicht durchzusetzen vermochte, wie wir heute wissen. Die beiden Politiker werden in diesem Leben keine Freunde mehr.

«Bei meinem Besuch in Kiew erkannte ich, dass die mich dort mehr mögen als in Kensington.»

Gerade wenn es um die Franzosen geht, ist «Unleashed» eine wirklich lustige Lektüre. Etwa wenn Johnson berichtet, wie er und die Queen über seinen Erzfeind Macron und dessen ältere Ehepartnerin lästerten: «Die hätte ihm als Lehrerin besser ein paar Geschichtslektionen erteilt . . .» Das soll die Queen gesagt haben, weil Macron Nordirland zum EU-Zollgebiet erklären wollte. Diese Episode gehört ins gleiche Kapitel wie Johnsons Ratschlag an seine Nachfolger, politische Umfrageergebnisse zu verbessern: «Lasst einfach ein paar Kriegsschiffe Jagd auf französische Fischerboote machen, und schon steigen die Werte.»

An anderer Stelle meint es Johnson ernst. So schildert er die russische Invasion in die Ukraine in den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022, als ihn der nationale Sicherheitsrat um vier Uhr weckte: «In zwanzig Minuten war ich an meinem Pult und telefonierte mit Selenskyj [. . .] und sagte ihm alle erdenkliche Unterstützung zu.» Johnson und Selenskyj verbindet ein Vertrauensverhältnis: «Ich mag ihn und bewundere ihn. Wir sind beide irgendwie Aussenseiter . . .» Johnson sieht den Kampf der Ukraine gegen Russland als Selbstbehauptung des Westens gegenüber Russland. Vor allem aber fühlte er sich selbst bewundert: «Bei meinem Besuch in Kiew erkannte ich, dass die mich dort mehr mögen als in Kensington.» Gut möglich, dass er auch dort bald wieder besser ankommen wird.