Solange wir uns an unsere obersten Grundsätze
erinnern und an uns selbst glauben,
wird die Zukunft immer uns gehören.
Ronald Reagan

 

Kasan

Leise Panik herrscht in Bundesbern. Oder schlägt es schon in helles Entsetzen um? Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin der Partei Die Mitte, seit Jahren verlässlich auf Kurs, was die Unterwerfung der Schweiz unter die Europäische Union angeht, wandte sich eben fast flehentlich an den Bundesrat. Ob die Regierung, klönte die Politikerin aus dem Kanton Baselland, den EU-Freunden im Bundeshaus nicht helfen könne gegen den Aufmarsch eines Gegners, mit dem bis vor ein paar Wochen noch niemand gerechnet hatte.

Schneider-Schneiters Notruf zielte ab auf die Unternehmervereinigung «Kompass Europa», die seit kurzem mächtig mobil macht gegen die Pläne des Bundesrats, der Linken und weiter Teile der Bürgerlichen mit Ausnahme der SVP, die Schweiz institutionell an die EU anzudocken. Die Kompass-Leute, angeführt von den Gründern des äusserst erfolgreichen, global tätigen Zuger Private-Equity-Giganten Partners Group, Alfred Gantner, Urs Wietlisbach und Marcel Erni, führen einen hochengagierten Informationskrieg plus Volksinitiative für eine unabhängige Schweiz.

Innert Kürze haben sie 2500 Mitglieder für ihr Anliegen gefunden. Es gelang ihnen, prominente und beliebte Schweizer anzuwerben, die sich politisch bisher nicht geoutet hatten, Olympiasieger Bernhard Russi zum Beispiel oder den Meister des einfühlsamen Fernseh-Talks, Kurt Aeschbacher. Gemeinsam versuchen sie nun das breite Publikum davon zu überzeugen, dass die in Bundesbern ausgeheckten und mit der EU derzeit verhandelten Verträge, sollten sie jemals abgeschlossen werden, der Schweiz ans Eingemachte gehen.

Auf dem Spiel stehen unsere Volksrechte, die Demokratie, der Heilige Gral gewissermassen unserer jahrhundertealten Freiheit der Selbstbestimmung, dank der es die Schweizer auf wundersame Weise geschafft haben, einen an Rohstoffen armen, von gierigen Grossmächten stets umlauerten, strategisch bedeutsam gelegenen Steinhaufen in der Mitte Europas nicht nur heil durch die Weltgeschichte zu navigieren, sondern darüber hinaus auch einen Garten Eden des Wohlstands zu erzeugen, gerade weil sie sich das Heft des Handelns nie aus der Hand haben nehmen lassen.

Auf dem Spiel stehen unsere Volksrechte, die Demokratie, der Heilige Gral unserer Freiheit der Selbstbestimmung.

Das ist die wesentliche Botschaft der drei Freiheitspartner: Warum soll man ein institutionell gefestigtes, bewährtes Erfolgsmodell einer institutionell und politisch alles andere als stabilen Grossraum-Ordnung unterwerfen? An ihren Vorträgen legen Gantner und Co mit Charts, Daten und der geballten Überzeugungskraft ihrer internationalen unternehmerischen Erfahrung dar, warum aus ihrer Sicht die Behauptung, die Schweiz werde ohne die EU-Verträge verarmen, nicht nur stark übertrieben, sondern nachgerade falsch, ja das Gegenteil wahr ist und wir ohne Anbindung wirtschaftlich besser fahren.

Schon Frankreichs Imperator und Menschenverheizer Napoleon scheiterte elendiglich, als er probierte, die widerspenstigen Eidgenossen, trotz vielen Schweizer Freunden der Revolution, als deren Vollender der Korse sich sah, in seine damalige EU unter dem französischen Legionsadler einzugliedern. Das Vorhaben erwies sich als aussichtslos, weil die von unten nach oben gewachsene Alpen-Anarchie Schweiz einfach nicht kompatibel war mit dem zentralistischen, dem Willen eines sich für genial haltenden Herrschers folgenden Obrigkeitsstaat. Napoleon musste seine Pläne begraben.

Wenn schon der nach Auffassung der Franzosen grösste europäische Staatsmann nach Karl dem Grossen die institutionelle Eingemeindung der Eidgenossenschaft nicht fertigbrachte, dann dürfte es wohl auch für Ursula von der Leyen und ihre Kollegen nicht ganz einfach werden. Jedenfalls arbeiten in Bern bereits heute rund 100 Beamte aus 7 Departementen fleissig daran, Dutzende von Gesetzen, exakt sind es 39, so anzupassen, dass die von der EU gewünschten und von der Schweizer Regierung für unverzichtbar erklärten Verträge überhaupt nur angewendet werden könnten.

Man sieht: Die institutionelle EU-Anbindung hat noch viele offene Fragen und Flanken, und befeuert durch die Info-Offensive der «Kompass»-Partner, die eben nicht aus der SVP-Heimatschützer-Ecke kommen und daher weniger leicht wegschubladisiert werden können, braut sich nun in Bern bei den Euro-Turbos ein brodelnder Gemütscocktail zusammen, das Gefühl eines anschwellenden Nervenzusammenbruchs womöglich, wie ihn das Bittgesuch von Mitte-Nationalrätin Schneider-Schneiter in ersten Vibrationen spürbar werden lässt.

Ich schreibe diese Zeilen übrigens auf dem Weg in die russische Millionenstadt Kasan, das einstige Hauptquartier der europäischen Mongolenherrschaft, heute ein Zentrum muslimischer Kultur im russischen Vielvölkerstaat. Hier findet in dieser Woche der Gipfel der sogenannten Brics-Staaten statt, das wichtigste aussenpolitische Ereignis vor den US-Wahlen. «Brics» steht für einen informellen Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, mittlerweile ergänzt durch weitere Staaten mit einer offenbar langen Beitrittswunschliste.

Die Amerikaner und viele im Westen sprechen von einem «Klub der autoritären und reaktionären Länder». Richtig ist, dass die Brics-Staaten das Unbehagen an der Arroganz des Westens eint und, wie es der in Kasan Hof haltende Präsident Putin an einer Medienkonferenz ausdrückte, «an den herrschenden Eliten der Staaten der sogenannten goldenen Milliarde», die «in den besten Traditionen des klassischen Kolonialismus» den anderen Nationen die Regeln «diktieren». Dagegen lehnen sich die Brics auf, mit erheblichem, bei uns unterschätztem, wirtschaftlichem und politischem Gewicht.

Einflussreiche Schweizer Kreise, Leitmedien, Politiker, vor allem FDP und Mitte, Wirtschaftsverbände suchen angesichts dieser «multipolarer» und damit spannungsreicher werdenden Welt nun Anschluss, Unterschlupf bei mächtigeren Gruppen wie eben der EU oder neuerdings auch der Nato. Angetrieben von Emotionen der Verzagtheit, einem schwindenden Zukunftsvertrauen in die Unabhängigkeit der Schweiz, erliegen sie dem in solchen Situationen oft aufkeimenden «Unbehagen am Kleinstaat», hoffen sie auf Erlösung durch Selbstpreisgabe, Auflösung im Grösseren.

Auch gegen solche Empfindungen argumentieren die Schweizer Freiheitspatrioten um «Kompass Europa» heute an. Es geht um nichts Geringeres als um die Frage, ob wir Schweizer, «in arglistiger Zeit», nach wie vor die Kraft haben, auch gegen Widerstand an unserer weltweit einzigartigen Staatsform von Freiheit und Selbstbestimmung festzuhalten. Wieder einmal naht die Mutter aller Schlachten.