Anka Muhlstein:
Camille Pissarro oder Von der Kühnheit zu malen. Insel. 301 S., Fr. 46.90

Die Klage vom Leiden des verkannten Künstlers ist ein Klischee. Der französische Impressionist Camille Pissarro hat indes genau dieses Schicksal erfahren: «Monsieur Pissarro muss begreifen, dass Bäume nicht violett sind, dass der Himmel nicht die Farbe von Butter hat, dass man die Dinge, die er malt, in keinem Land der Erde sieht . . .» Mit diesen Worten kanzelte ein Kunstkritiker des Figaro Pissarro ab, nachdem er im Frühjahr 1876 die zweite Ausstellung der Impressionisten in Paris besucht hatte. Der Familienvater Pissarro mit vier Kindern war zu jener Zeit mittellos.

Der Verriss illustriert trefflich den Kampf um Anerkennung, den die Impressionisten auszutragen hatten. Was heute selbstverständlich zum Kanon der klassischen Moderne gehört, lag damals jenseits des gängigen Kunstverständnisses. Einzelne Maler wie Pierre-Auguste Renoir waren zwar, wenn auch widerwillig, zu Zugeständnissen an den konservativen Zeitgeist bereit.

Andere wie Camille Pissarro (1830–1903) gingen dagegen unbeirrt ihren Weg – in der Überzeugung, die Kunst zu revolutionieren. Seine Unbeirrbarkeit kann als Sturheit durchgehen. Bis auf die letzten zehn Jahre seines Lebens darbte er in Armut.

 

Romantische Weltsicht

In diesem Licht erscheint der Künstler in einer neuen Biografie der französischen -Historikerin Anka Muhlstein. Sie zeichnet das Bild eines -Malers, der sich im Gegensatz zu manchen -seiner Zeitgenossen wie Paul Gauguin oder Paul Cézanne für ein vordergründig bürgerliches Leben entschied. Die Eckpunkte seines Lebens weisen auf einen fürchterlichen Langweiler hin. Frühe Heirat mit einer ungebildeten Landpomeranze, mit der er acht Kinder zeugte. Die Familie war sein Lebensinhalt. Aber nur so weit, als er keine künstlerischen Konzessionen eingehen musste. Er hielt sich an die bürgerlichen Konventionen, um seine künstlerische Freiheit zu wahren.

In seiner Jugend erfuhr er familiäres Aussenseitertum. Pissarro hatte seine Kindheit in einer jüdisch-sephardischen Familie auf der damals dänischen Karibikinsel Saint Thomas verbracht. Die Sandstrände in der Tropensonne langweilten ihn indes ebenso wie das väterliche Handelsgeschäft. Der junge Pissarro setzte sich so bald wie möglich nach Paris ab. Früh lernte er das Küchenmädchen Julie Vellay kennen, das kaum lesen und schreiben konnte. Zum Entsetzen seiner Familie schwängerte er sie, holte die Hochzeit aber erst Jahre später nach.

Er hielt sich an die bürgerlichen Konventionen, um seine künstlerische Freiheit zu wahren.Nicht nur die etablierte Kunstkritik rümpfte die Nase angesichts Pissarros Gemälden. Auch der fortschrittliche Schriftsteller Emile Zola hielt nichts von seinen Werken im legendären Pariser Salon: «Er ist ein Unbekannter, von dem wahrscheinlich niemand sprechen wird.» Aller-dings attestierte er ihm «rigoroses Streben nach Wahrheit und Genauigkeit», was er indes für wenig attraktiv hielt. Zola und Pissarro sollten sich im Alter dennoch näherkommen, als sich beide für den zu Unrecht verurteilten Offizier Alfred Dreyfus einsetzten. Pissarro war ansonsten ein unpolitischer Mensch. Zwar fühlte er sich als Anarchist, aber das war eher seiner romantischen Weltsicht geschuldet als kämpfe-rischem Furor. Während des Deutsch-Franzö-sischen Kriegs 1870/71 verabschiedete er sich mit seiner Familie nach England, um ungestört seiner Malerei zu frönen.

Wie viele Impressionisten profitierte -Pissarro von der Geschäftstüchtigkeit des Kunsthändlers Paul Durand-Ruel. Dieser hielt unbeirrt an diesen jungen Avantgardisten fest, auch wenn er sich damit einen «üblen Ruf» einhandelte, wie er konstatierte. Seine Hartnäckigkeit sollte sich in den 1890er Jahren auszahlen, als die impressionistische Kunst endlich angesagt war und Geld brachte.

Nun waren die Alten die Meckerer und verstanden die Jugend nicht mehr. Für Pissarro war Pablo Picasso ein Grauen: «Keine Freimütigkeit oder Aufrichtigkeit – und er ist zwanzig Jahre alt.» Auch der junge Pierre -Bonnard kam bei ihm denkbar schlecht weg: «Ein komplettes Fiasko . . . » Sturheit war nun mal eine Charaktereigenschaft Pissarros; er pflegte sie bis zu seinem Ende.