Elon Musk hat bei der Übernahme von Twitter Transparenz versprochen. In den letzten Tagen liess er den Schleier über dem Innenleben der Firma lüften. Die von ausgewählten Journalisten veröffentlichten «Twitter Files» machen deutlich: Der populärste Kurznachrichtendienst der Welt, der sich als globalen Marktplatz der Ideen und Meinungen anpreist, operiert mitnichten frei und schrankenlos.

Unliebsame Ansichten und Tweets – meistens politisch rechte oder konservative – werden unterdrückt oder gar komplett zensiert. Oft ohne Wissen der Betroffenen. Nutzer werden auf «schwarze Listen» gesetzt. Präsident Donald Trump wurde als einziges Staatsoberhaupt aus politischen Motiven gezielt ausgesperrt; die ehemalige First Lady Michelle Obama hat sich für dessen Verbannung in der Twitter-Chefetage aktiv eingesetzt. Derweil lässt man andere Magistraten ungehindert zu Hass, Mord und Totschlag aufrufen.

Demokratie beeinflussen

Bari Weiss, eine der Journalistinnen, die von Musk mit der Analyse der «Twitter Files» betraut wurde, beschreibt die Twitter-Führungsriege als «Macht einer Handvoll Menschen in einem privaten Unternehmen, die den öffentlichen Diskurs und die Demokratie beeinflussen».

Dabei arbeitete die Twitter-Führung eng mit progressiven, linken Regierungsbürokraten, Demokraten sowie Geheimdienstlern zusammen. Exemplarisch dokumentiert wird dies im ersten Teil der «Twitter Files». Dabei geht es um die Hunter-Biden-Laptop-Story, welche von Twitter komplett zensuriert wurde.

Zur Erinnerung: Kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2020 veröffentlichte die New York Post eine Recherche über «geheime Biden-E-Mails», die die Sprengkraft hatte, den Wahlausgang entscheidend zu beeinflussen. Die älteste Zeitung der USA zitierte Inhalte aus dem Laptop von Hunter Biden, dem Sohn des Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Diese dokumentierten Deals mit dubiosen Firmen in Staaten von China über die Ukraine bis Südamerika, mit welchen die Biden-Familie Dutzende Millionen Dollar erwirtschaftete. Dabei profitierten Joe Bidens Sohn Hunter und sein Bruder Jim von der Macht und dem Einfluss des damaligen Vizepräsidenten. Es gibt Indizien, die auf eine direkte finanzielle Beteiligung von Joe Biden hinweisen. Und es besteht das Risiko, dass durch die Deals des Biden-Clans in Russland, China und der Ukraine eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA entstanden ist. Die Dokumente aus dem Laptop wurden inzwischen von Forensikern als echt bestätigt.

Der ehemalige Chefjurist des FBI sortierte hinter dem Rücken von Elon Musk die Twitter-Akten aus.

Um die Recherche der New York Post zu zensurieren, griffen die Twitter-Bosse zu einem Trick. So wurden die Dokumente aus Hunter Bidens Laptop als «gehacktes Material» bezeichnet. Dies obwohl es keinen einzigen Beleg dafür gab. «Hacking war die Ausrede», schreibt Twitter-Files-Journalist Matt Taibbi, «innerhalb von ein paar Stunden war so ziemlich jedem [bei Twitter] klar, dass das nicht stimmte. Aber niemand hatte den Mumm, die Wahrheit zu sagen.»

«Seid wachsam»

Rückendeckung für die Zensur – und das Schweigen der meisten Medien –gab eine durchlauchte Riege von ehemaligen US-Geheimdienstlern. Kaum war der erste Laptop-Artikel erschienen, wandten sich James Clapper, Barack Obamas ehemaliger Direktor der Nationalen Nachrichtendienste, und fünfzig ehemalige hochrangige Geheimdienstler in einem Brief an die Öffentlichkeit: Die Dokumente der Laptop-Story hätten alle «Anzeichen einer russischen Desinformationskampagne», behaupteten sie.

Hinter den Kulissen waren Nachrichtendienstler bei Big-Tech-Firmen bereits aktiv geworden. So sprachen Agenten des Federal Bureau of Investigation (FBI) im Herbst 2020 bei Facebook vor und warnten explizit vor «russischer Desinformation». Im Gespräch mit Amerikas Podcast-Star Joe Rogan enthüllte Mark Zuckerberg, CEO und Gründer von Facebook: «Das FBI kam zu uns, zu einigen Leuten in unserem Team, und sagte: ‹Hey, nur damit ihr es wisst, ihr solltet in höchster Alarmbereitschaft sein.›» Man erwarte demnächst eine Art «dump» (Veröffentlichung von grossen Mengen Informationen) russischer Propaganda. «Also, seid wachsam», hätten die Agenten gesagt.

Zuckerberg kooperierte. Als kurz nach der FBI-Warnung die Recherchen über die Familie Biden in der New York Post erschienen, wurden diese von Facebook unterdrückt.

«Wir brauchen mehr Fakten»

«Hacking war eine Ausrede. Innerhalb von ein paar Stunden war jedem klar, dass das nicht stimmte.»

Wie intervenierten FBI-Agenten bei Twitter? In den «Twitter Files» über die Laptop-Zensur letzte Woche gab es vorerst keinen konkreten Hinweis darauf. Was bei Insidern sofort Misstrauen auslöste. «Das einzige fehlende Puzzlestück ist bisher die Beteiligung des FBI», erklärt Miranda Devine. Die New York Post-Kolumnistin gehörte zum Kernteam der Hunter-Biden-Recherche und ist Autorin des Buches «Laptop from Hell». Sie erinnerte daran, dass es eine solche Beteiligung des FBI bei Twitter nachweislich gegeben habe. Und zwar regelmässig. Jede Woche. «Wir haben eine eidesstattliche Erklärung einer Top-Führungskraft bei Twitter, dass sie vor der Wahl 2020 wöchentliche Treffen mit dem FBI hatten, in denen sie vor einer bevorstehenden hack-and-leak operation von staatlichen Akteuren alias Russen gewarnt wurden, die wahrscheinlich im Oktober stattfinden und Hunter Biden einbeziehen würde», so Devine letzte Woche in einem TV-Interview.

Warum also fanden sich darüber in den «Twitter Files» keine Details? Bald stellte sich heraus, dass das Material, das Elon Musk zur Recherche freigab, vorselektioniert worden war. Die beiden von Musk mit der Recherche betrauten Journalisten – Matt Taibbi und Bari Weiss – stiessen bei der Nachforschung auf Schwierigkeiten, die sie stutzig machten.

Matt Taibbi: «Im Laufe des Wochenendes, als wir beide mit Hindernissen für neue Recherchen zu kämpfen hatten, entdeckte Bari Weiss, dass die für die Freigabe der Akten zuständige Person ein gewisser Jim war. Als sie [bei Twitter] anrief, um Jims Nachnamen zu erfragen, lautete die Antwort: Jim Baker. ‹Mir fiel die Kinnlade runter›, so Weiss.»

James «Jim» Baker war Generalanwalt des FBI. Er ist eine Art «Forrest Gump» des deep state. Wie die Filmfigur taucht er mirakulös immer wieder dort auf, wo Geschichte geschrieben wird. In Bakers Fall: Geschichte gegen Donald Trump. Ab 2016 spielte er eine Schlüsselrolle in praktisch jeder Anti-Trump-Kampagne der US-Geheimdienste und -Justiz. Sein Name taucht prominent im Zusammenhang mit den bizarren und falschen Behauptungen über «geheime Absprachen» zwischen der Trump-Kampagne und dem Kreml auf.

Bloss fünf Monate vor den Präsidentschaftswahlen 2020 stösst er plötzlich zu Twitter, um dort wiederum eine Schlüsselposition einzunehmen – als stellvertretender Chefjurist des Unternehmens. Als er sich im Oktober 2020 mit der Hunter-Biden-Story konfrontiert sah, riet er zur Zensur. «Wir brauchen mehr Fakten, um zu beurteilen, ob das Material gehackt wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass dies der Fall sein könnte, und es ist Vorsicht geboten.»

Wie sich nun zeigt, hatte Baker auch vor der externen Recherche der Twitter-Akten zu Hunter Biden die Finger im Spiel. Baker «überprüfte den ersten Stapel der ‹Twitter Files›», so Matt Taibbi. Und dies «ohne Wissen des neuen Managements». Mit anderen Worten: Selbst nachdem Musk eine Transparenz-Offensive verordnet hatte, sortierte Baker hinter dem Rücken des neuen Chefs die Akten aus, die zur Analyse freigegeben wurden. Musk handelte umgehend und entliess Baker.

Was ist mit Google, Facebook, Instagram?

Mindestens so erstaunlich wie dieser dreiste – letzte – Akt des ehemaligen FBI-Chefjuristen bei Twitter ist die Tatsache, dass die meisten Medien – auch in der Schweiz – kaum ein Wort darüber berichten. «Jeder intelligente Kommentator, der dies nicht als einen potenziell enormen Skandal erkennt, ist bestenfalls vorsätzlich blind», schreibt der Spectator.

Elon Musks Transparenz-Offensive bei Twitter bestätigt in Ansätzen, was oft als Verschwörungstheorie abgetan wird: Es gibt eine «collusion», eine Kooperation und Koordination zwischen Big Tech, Big Media und Big Government.

Was nun bekanntwird, ruft nach vertiefter Untersuchung. Gab es bei anderen sozialen Medien ähnliche Kanäle zum FBI? Wer sind die «Jim Bakers» bei Google und Meta, bei Facebook, Instagram, Whatsapp und Messenger? Wie manipulieren sie dort die Informationen, die der Öffentlichkeit serviert werden?

Die Weltwoche besitzt eine Kopie des Laptop-Inhalts und berichtet in einer Serie ausführlich darüber. www.weltwoche.ch/daily/hunter-biden