«Diese Jahrhundert-Konfrontation dürfen wir nicht scheuen», doziert der frühere deutsche Bundespräsident Joachim Gauck in einem grossen Interview von Tamedia. Für ihn wäre es «das moralische und politische Gebot, an der Seite Kiews zu kämpfen, um die Demokratie zu verteidigen».

Im Alter von 83 Jahren kann der frühere DDR-Kirchenfunktionär leicht das «Kämpfen» fordern; er persönlich dürfte kaum ein Aufgebot an die Front erhalten. Auch ist nichts davon bekannt geworden, dass Gauck seine Söhne zwecks Kriegführung in die Ukraine geschickt hätte.

Sodann orten er und die Tagi-Journalisten bei all jenen Parteien und Personen, die mit der heutigen Zuwanderungspolitik nicht einverstanden sind, den üblichen «Rechtspopulismus» und eine «autoritäre Disposition».

Eine Vorgeschichte oder die geringsten Fehler des Westens im Vorfeld des Ukraine-Kriegs mag Gauck nicht erkennen: «Putin hat bis weit in die 1990er Jahre kein Wort über eine Bedrohung durch die Nato gesagt. Null!» Nur steht Wladimir Putin erst seit August 1999 an der Spitze Russlands. Wie also sollte eine frühere Stellungnahme Putins über die Nato zu Gaucks Ohren gekommen sein?

Laut Joachim Gauck wäre es eigentlich «das moralische, aber auch das politische Gebot», dem von Putin überfallenen Opfer «unsere Solidarität» zu beweisen, indem «wir selbst hingehen», «selbst mitkämpfen». Sollen wieder deutsche Panzer Richtung Russland rollen? Einen Weltkrieg oder einen Atomkrieg wolle er dann aber doch nicht, winkt der frühere Bundespräsident ab.

Für die Schweizer Neutralität hat Gauck «null Verständnis», und er habe auch Mühe zu verstehen, «warum die Schweiz mit der Europäischen Union so fremdelt». Der Theologe aus Berlin hat überhaupt etliche Verständnisprobleme. Bei seinem Staatsbesuch in Bern von 2014 sagte er wörtlich: «Die direkte Demokratie kann Gefahren bergen, wenn die Bürger über hochkomplexe Themen abstimmen.»

Leider fehlt uns ein Schweizer Bundespräsident, der so erwidert hätte: «Verehrter Herr Kollege Gauck, die Schweizer Bürger haben in den letzten hundert Jahren mit ihren direktdemokratischen Entscheiden Europa weit weniger ins Elend gestürzt als all ihre deutschen Monarchen, Diktatoren und Parlamente.»