Twitter preist sich als globaler Marktplatz der Ideen und Meinungen an. Doch frei und schrankenlos geht es beim grössten Meinungs-Portal der Welt mitnichten zu.

«Teams von Twitter-Mitarbeitern erstellen schwarze Listen, hindern missliebige Tweets am Trenden und schränken aktiv die Sichtbarkeit ganzer Accounts oder sogar trendender Themen ein – alles im Geheimen, ohne die Nutzer zu informieren.» Zu diesem Schluss kommt die Journalistin Bari Weiss in einer neuen Untersuchung der sogenannten «Twitter Files».

Als prominentes Beispiel erwähnt Weiss «Dr. Jay Bhattacharya aus Stanford, der argumentierte, dass Covid-Lockdowns Kindern schaden würden. Twitter setzte ihn heimlich auf eine Trend-Blacklist, was ihn daran hinderte, dass seine Tweets als Trend erscheinen konnten».

«Twitter-Trends» sind Themen, die häufig von Usern erwähnt und im Netzwerk diskutiert werden und somit hohen Einfluss gewinnen können.

Ähnlich erging es vielen anderen Politikern, Journalisten oder Wissenschaftlern. Was den meisten Betroffenen gemeinsam ist: Sie sind konservativ und vertreten mehrheitlich rechtspolitische Standpunkte.

Der Verdacht, dass Twitter Meinungen unterdrückt, wurde oft geäussert. Doch «Twitter leugnete, dass es solche Dinge tut», schreibt Weiss.

Sie zitiert zwei führende Twitter-Köpfe: Vijaya Gadde, einst Leiterin der Abteilung Rechtspolitik und Vertrauen, und Kayvon Beykpour, ehemals Leiter der Produktabteilung: «Wir machen keinen shadow ban (Schattenverbote)», sagten die beiden 2018. «Und wir verhängen ganz sicher keine Schattenverbote aufgrund von politischen Ansichten oder Ideologien.»

Wie Weiss’ Enthüllungen nun zeigen, entsprach dies nicht der Wahrheit. Statt «Shadow Banning» – die heimliche Unterdrückung von Twitter-Nutzern ohne deren Wissen – benutzten die Twitter-Führungskräfte den Begriff «Visibility Filtering», kurz VF.

«VF wurde eingesetzt, um die Suche nach einzelnen Nutzern zu blockieren, den Umfang der Auffindbarkeit eines bestimmten Tweets einzuschränken, Beiträge ausgewählter Nutzer davon abzuhalten, jemals auf der Trending-Seite zu erscheinen, und von der Aufnahme in Hashtag-Suchen auszuschliessen», schreibt Weiss. «All das ohne das Wissen der Nutzer.»

Ein Twitter-Ingenieur sagte zu Weiss: «Wir kontrollieren die Sichtbarkeit in hohem Masse. Und wir kontrollieren die Verbreitung von Inhalten in hohem Masse. Und normale Menschen wissen nicht, wie viel wir tun.»

Im Zuge einer Transparenz-Aktion bei Twitter wurde Bari Weiss vom neuen Twitter-Chef Elon Musk persönlich mit der Recherche der «Twitter Files» betraut. Weiss war Journalistin bei der New York Times und dem Wall Street Journal. Heute ist sie Herausgeberin des Substack-Newsletters «The Free Press» und Moderatorin des Podcasts «Honestly».

Tage zuvor hatte der – ebenfalls von Musk auserkorene – Journalist Matt Taibbi Einblick in die Hintergründe eröffnet, die kurz vor den US-Präsidenten-Wahlen 2020 zur Zensur der Hunter-Biden-Laptop-Story führten.