Die Reaktionen auf die angepeilte Änderung des Justiz- und Regierungssystems sind eine Zerreissprobe für den Staat Israel, der im Mai seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Bereits ist hier und da von einem möglichen Bürgerkrieg die Rede. Liberale, säkulare, religiöse und radikale Kräfte stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Diese Woche wurde zwar bloss die erste Etappe des Umbaus entschieden – aber sie gilt als wegweisend für den weiteren Verlauf der Reform, die das deklarierte Ziel hat, das Höchste Gericht zu entmachten.

In den 1990er Jahren waren seine Kompetenzen massiv ausgeweitet worden. Es erhielt zum Beispiel die Befugnis, Gesetze und Regierungsentscheide umzustossen, wenn sie im Gegensatz zu Menschenrechten stehen oder dem Prinzip der «Angemessenheit» widersprechen. Alles sei justiziabel, brachte der Präsident des Obersten Gerichtshofs den Grundsatz auf den Punkt.

Diese Kompetenz-Ausweitung wird jetzt wieder rückgängig gemacht. Dafür erntet die Regierung Applaus bei einem grossen Teil der sephardischen (arabisch-stämmigen) Bevölkerung, welche die Entmachtung des Obersten Gerichtshofs unterstützt. Sie werfen ihm vor, eine Bastion elitärer Interessen zu sein – und sie haben das Gefühl, im Machtzentrum nur ungenügend vertreten zu sein. Und das politische Gewicht der religiösen und radikalen Parteien wird künftig zunehmen. Dafür sorgen vor allem die hohen Geburtenraten bei der orthodoxen und nationalreligiösen Bevölkerung.

Israelis mit europäischen Wurzeln sehen in der Zurückstufung des Gerichts hingegen ein Warnzeichen für den bevorstehenden Untergang der Demokratie. Denn in Israel existiert ausser dem Obersten Gerichtshof keine Instanz, die für checks and balances sorgt.

Im Gegensatz zu anderen Staaten gibt es weder ein Zwei-Kammer-System noch eine föderale Struktur und auch keine Verfassung. Eine Schwächung der Justiz bedeutet deshalb, dass der Regierung diktatorische Vollmachten zugestanden werden.

Die Koalition, die diesen massiven Eingriff durchpeitschen will, beruft sich zwar auf ihre Mehrheit im Parlament und damit auf ihre demokratische Legitimität. Was sie freilich unter den Tisch wischt: Sie verfügt in der Knesset lediglich über eine knappe Mehrheit von vier Stimmen.