Mehrere Zeitungen fordern, die SVP und vor allem deren Nachwuchssektion sollten sich vom Rechtsextremismus distanzieren. Die Journalisten empören sich mächtig darüber, dass eine SVP-Jungpolitikerin offenbar an einem Vortrag des österreichischen «Identitären» Martin Sellner war. Die Zeitung Blick, der gegenwärtig die Journalisten davonlaufen, schrieb konspirativ von einem «Geheimtreffen». Dem allerdings widerspricht die Angeschuldigte. Es sei ein öffentlicher Anlass gewesen.
Man möchte den Kollegen etwas Gelassenheit wünschen. Seit wann ist es in der Schweiz verboten, an Vorträge zu gehen, um sich selber ein Bild zu machen? Was soll der überhebliche Ruf nach «Abgrenzung» oder «Distanzierung»? Da schwingt ja immer schon der Vorwurf mit, die betroffene Person habe sich zuvor in unstatthafter Nähe zum verhandelten Gegenstand bewegt. Muss man sich neuerdings rechtfertigen, wenn man mit jemandem redet oder gesehen wird, der den Journalisten nicht passt?
Für die Demokratie gilt: Alle reden mit allen über alles. Ich kann mir doch jederzeit einen Vortrag anhören, von wem ich will. Ich kann mich mit Menschen jeder Couleur unterhalten, diskutieren, streiten, je nach Bedarf. Das ist das Wesen unserer Staatsform, unserer «offenen Gesellschaft». Darin liegt auch ihr grosser Vorteil gegenüber der Diktatur. Dort gibt nur einer oder eine Elite den Takt vor, sagt, wer sich mit wem treffen, worüber gesprochen werden darf, wer dazugehört und wer nicht.
Draussen mag es immer wärmer werden, aber die Atmosphäre der Meinungen gefriert.
Täuscht der Eindruck, oder breitet sich auch in der Schweiz, heute von links, eine Überwachungs- und Kontrollwut aus, wie sie früher die Rechten gegen Linke übten? In den siebziger Jahren konnte es gefährlich sein, in einer linken Buchhandlung gesichtet zu werden. Die Neue Zürcher Zeitung, die jetzt auch kräftig mitmacht beim Distanzierungsfimmel, veröffentlichte am Siedepunkt des Kalten Kriegs einst die Privatadresse eines bekannten Schweizer Kommunisten. Sind wir bald wieder so weit?
Nein, wir brauchen diesen neuen McCarthyismus nicht, weder von links noch von rechts, und auch nicht aus Deutschland. Senator Joe McCarthy war während der 1950er Jahre der prominenteste amerikanische Kommunistenfresser. Seine Hexenjagden zerstörten zahllose Biografien und Karrieren. Irgendwann übertrieb er es mit seiner Hysterie derart, dass die Öffentlichkeit von ihm abfiel. Erstaunlich lange aber liess man ihn wüten. Das rabiate Frömmlertum dieses Ideologen stiess auf Anklang.
Schon die liberalen Klassiker von Alexis de Tocqueville bis John Stuart Mill sahen voraus, dass auch Demokratien in den Despotismus kippen. Klar. Mehrheiten neigen dazu, Minderheiten zu erdrücken. Die Medien hätten hier den Auftrag, dagegenzuhalten. Sie tun es nicht. Im Gegenteil. Sie machen bei den Hexenjagden mit, treiben sie voran. Dabei sollten gerade Journalisten mit allen reden, nicht nur über sie schreiben. Mit ihrer Abgrenzerei entlarvt sich die Branche: Nicht die Sache zählt, nur das Vorurteil.
Freiheit ist nichts Selbstverständliches. Man muss sie immer wieder verteidigen. Vor dreissig Jahren flog der Fichenskandal auf, die flächendeckende Bespitzelung angeblich linker Staatsfeinde durch die damals vorwiegend rechten Behörden. Inzwischen haben die Linken die Macht, und mit ihnen zieht der gleiche Wahnsinn wieder auf, vielleicht noch eine Spur giftiger, intoleranter, weil die Linken und «Woken» sich bekanntlich als moralisch höherstehende Menschengattung empfinden.
Draussen mag es immer wärmer werden, aber die Atmosphäre der Meinungen gefriert. Offenbar haben auch in der Schweiz ein paar Leute in den Medien und in der Politik Angst vor abweichenden Ansichten. Wenn man mit seinen Argumenten nicht mehr durchdringt, versucht man es mit Druck, Verketzerung, Gewalt. Nur schwache Gesellschaften ächten «unerwünschte» Sichtweisen. «Ausgrenzung», «Distanzierung», der die «Isolierung» folgt, sind das Merkmal der Diktatur. Weg damit.